Das Hauptwort 8. Die Fremdwörter

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Buch Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig.
Seitenzahlen 112 - 117
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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Fremdwörter: Genusvarianz

Genannte Bezugsinstanzen: Volk, Mundart, Goethe - Johann Wolfgang, 18. Jahrhundert
Behandelter Zweifelfall:

Eigennamen: Genusvarianz

Genannte Bezugsinstanzen: Alt, Sprachgelehrsamkeit
Behandelter Zweifelfall:

Eigennamen: Flexion

Genannte Bezugsinstanzen: Volk
Behandelter Zweifelfall:

Fremdwörter: Kasusformen

Genannte Bezugsinstanzen: Gelehrte, Alt
Behandelter Zweifelfall:

Wortbildung: Suffixkonkurrenzen bei Personenbezeichnungen

Genannte Bezugsinstanzen:
Behandelter Zweifelfall:

Fremdwörter: Pluralbildung

Genannte Bezugsinstanzen: Sprachverlauf, Gesprochene Sprache, Schriftsprache, Süddeutsch, Gehobene Sprache, Gegenwärtig, Sprachgelehrsamkeit, Alt, Gelehrte, Fachsprache (Militärwesen), Norddeutsch, Volk, 19. Jahrhundert, Schleiermacher - Friedrich
Behandelter Zweifelfall:

Aussprache von Fremdwörtern

Genannte Bezugsinstanzen: Fachsprache (Militärwesen), Gesprochene Sprache
Text

Den Fremdwörtern kann kein Deutscher ganz aus dem Wege gehen, mag er sie noch so tief verachten und sie wo nur immer vermeiden; sie treten ihm auf jedem, wirklich auf jedem Gebiete des einzelnen und des öffentlichen Lebens entgegen, überfallen ihn in Scharen, und irgendwie muß jeder sich mit ihnen sprachlich abfinden. So auch ich, zur Stunde wohl ihr entschiedenster Bekämpfer. Hier wird natürlich, wie schon einmal bemerkt (S. 87), nur von solchen Fremdwörtern gehandelt, die als Halblehnwörter gelten dürfen und als solche in meiner ,Entwelschung' aufgeführt stehen.

$Seite 113$ Im allgemeinen gilt die Beugungsregel: Fremdwörter, wo möglich, wie deutsche abzuwandeln; ergeben sich Schwierigkeiten, so trägt die Verantwortung für entstehende lächerliche Formen nicht der Schreiber, sondern die deutsche Welscherei. Die Zeit ist vorüber, wo in Deutschland jedes griechische oder lateinische Fremdwort nach den Gesetzen seiner Sprache gebeugt wurde. Heute wird fast nur deutsch gebeugt, worin freilich eine gewisse Gefahr liegt: die fremden Schmarotzer verlieren dadurch etwas von ihrer abschreckenden Form und nisten sich um so bequemer in den Leib der deutschen Sprache ein. Immerhin, es heißt: im Museum, nicht im Museo; die Dramen, nicht Dramata; des Dramas, nicht Dramatis; des Gymnasiums, nicht Gymnasii; des Kollegiums, nicht Kollegii. Themata klingt zwar vornehmer, aber Themen genügt für die, welche nicht Griechisch verstehen, und für alle andern ebenso. Daß keiner Thema, Themata, Themen überhaupt zu schreiben braucht, versteht sich von selbst. Allerdings, wer zu gelehrt, zu vornehm oder zu dünkelhaft ist, um Zeit und Zeiten zu schreiben, der wird wohl bei den Tempora von Tempus bleiben müssen; nur leidet die Gelehrsamkeit und Vornehmigkeit gar sehr unter Wendungen wie ,zu den Tempora' statt des ganzgelehrten Temporibus, und Tempusse zu schreiben brächte der vornehme Mann nicht übers Herz, obwohl dies keine schlimmere Stillosigkeit ist, als Themen, Dogmen, des Mediums, Kollegien, des Publikums zu schreiben. Was aber macht der gelehrte Mann mit Wörtern wie Musikus, Physikus? Zumeist lateinert er in der Mehrzahl: Musici, Physici, oder hilft sich im ersten Fall aus der schweren Bedrängnis mit Musiker; im zweiten, aber nur in ärgster Verzweiflung, mit Physikusse. Ist das Deutsche schon eine schwere Sprache, das Welsch ist noch schwerer, und das ist in der Ordnung: ohne Fleiß kein Preis.

Bei Komma begnügt man sich meist mit Kommas, nur im Gelehrtenwelsch heißt es Kommata; bei Kolon sagt man nicht Kola zu griecheln, sondern schreibt oder spricht, ruppig genug, die Kolons.

Balkon ist fast ein Halblehnwort; mache man es ganz dazu, indem man es nicht näselt, sondern Balkohn spricht und ihm die Mehrzahl Balkone gibt statt Balkonkß. In der Heeressprache heißt es längst die Ballone, nicht Ballonkß. $Seite 114$ Bei Sofa hat sich, entgegen älterem Sofae, jetzt Sofas fest eingebürgert. Die Mehrzahl von Atlas darf getrost Atlasse, nicht Atlanten, heißen, wenn man durchaus nicht Deutsch sprechen und Kartenwerke sagen will.

Eigentlich geht es meinen Leser kaum etwas an, wie die Mehrzahlen von Motto, Porto, Kollo, Bravo am richtigsten heißen, denn er schreibt solch Zeug überhaupt nicht. Er könnte aber in die Lage kommen, darüber Auskunft geben zu sollen, und da mag er zur beliebigen Auswahl stellen: Mottos, Motti, Mottis usw. Verpflichtet ist kein Deutscher, zu wissen, daß oder warum Mottis Unsinn ist, und es klingt überaus drollig, wenn ein Sprachmeister eine so reizende Form wie Mottis ,beschämend für uns Deutsche nennt' und uns belehrt, warum dies schlechtes Italienisch sei.

In Süddeutschland und sonstwo sagt man Gymnasisten statt Gymnasiasten und erregt bei denen, die Gymnasiasten sagen, Heiterkeit. Sie mögen sich über diesen Spott der Welt trösten: Gymnasisten steht sprachlich genau auf derselben ,Höhe' wie Gymnasiasten.

Alle Welt sagt heute die Admiräle, die Generäle (neben viel seltneren Admirale, Generale). Der Sprachmeister erklärt entgegen dem herrschenden Sprachgebrauch Generale für ,unzweifelhaft besser'. Die Sache verhält sich so: die deutsche Sprache hat die unausrottbare, wahrhaft rührende Neigung, alles Fremde, das in ihren Kreis eindringt, zumal das ihr schon vertrauter Gewordene, möglichst einzudeutschen, so auch durch deutsche Beugung. Solange Admiral, General, Korporal noch als fremd gefühlt wurden, behielten sie ihre fremden Mehrzahlen auf . . ale; mit der Eindeutschung bekamen sie den deutschen Umlaut . . äle. Man hat seiner Zeit festgestellt, daß 1848 die norddeutschen Redner in der Frankfurter Paulskirche Generale, die süddeutschen Generäle gesprochen haben. Hospital und Kanal sind bürgerliche Alltagswörter, die ebenso geläufig geworden wie jene Heereswörter, daher auch sie umgelautet; dagegen behielten nichteingedeutschte Welschwörter wie Tribunal, Arsenal in der Mehrzahl ihr unverändertes al. Und angesichts dieser Vorgänge verfügt der oberste der Sprachbüttel: ,Wenn sich irgendwo ein Schwanken zu zeigen beginnt, so ist es klar (?), daß die Form ohne Umlaut den Vorzug verdient.' $Seite 115$ Also wenn sich der innerste Schöpfertrieb der Sprache zu regen beginnt, so muß die Sprachpolizei sofort dagegen einschreiten. Nur weil ich diesem anmaßenden Polizeigeist, wo immer ich kann, entgegenzutreten für Pflicht vernünftiger Sprachpflege halte, beschäftige ich mich öfter mit solchen Sprachdummheiten, als die Bedeutung einer Einzelfrage zu rechtfertigen scheint. Jenen Polizeigeist fortan unschädlich zu machen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der neuen deutschen Sprachwissenschaft.

Die wahrscheinlich sehr feinen Gefühlsgründe, aus denen die Mehrzahl von Leutnant Leutnants, die von Major Majore (früher Majors) lautet, lassen sich nur vermuten.

Wenn jetzt aus Tenor meist Tenöre wird, so ist dagegen ebenso wenig zu sagen wie gegen das mehr landschaftliche Pastöre aus Pastor.

Im Sprachkampfe steht die deutsche Welt um die doch ja richtigste Betonung eines neuen Welschwortes: Motor. Soll man Mótor oder Motór sagen, und wie muß die Mehrzahl lauten, Motore oder Motoren? Eine abschließende Entscheidung mit wissenschaftlichen Sprachgründen ist bei Welschwörtern niemals zu treffen, weil sie von dem Grade der Eindeutschung oder doch der Eingewöhnung abhängt. Keine Betonung von Motor ist falsch; Mótor entspricht dem deutschen und dem lateinischen Tongesetz, aber doch nur für den, der weiß, daß Mot die Stammsilbe ist. Da es Fremdwörter genug mit Mo .. (Moment, Monument, Motiv) gibt, die eine spätere Silbe betonen, so ist es entschuldbar, wenn Nichtlateinkundige Motór sagen. Und welches Gesetz will man gegen Motore anrufen? Sagt man nicht die Kondore, die Kontore, die Korridore? Richtigkeit in Aussprache und Beugung der Welschwörter ist ein vollkommner innrer Widerspruch, für den es nur eine Lösung gibt: das deutsche Wort.

Das Geschlecht der fremden Maßwörter ist durch ein Reichsgesetz festgelegt, worin das Meter, das Liter, das Hektoliter stehen. Der Volksmund hat sie nach dem Beispiel vieler deutscher männlicher Wörter auf ..er in: der Meter, der Liter umgeformt. Bei Kilometer schwankt der Sprachgebrauch, aber das K. überwiegt, wie auch in Thermometer, Barometer; dagegen nur der Gasometer.

Als das Natürlichere würden uns die Mehrzahlen aller Fremdwörter auf . . s erscheinen. Leider hat sich manches $Seite 116$ Welschgeziefer schon so tief eingefilzt, daß der deutsche Sprachgeist sich seiner angenommen und ihm deutsche Beugung verliehen hat, wodurch ihre Lebensdauer verlängert wird. Es wäre heilsamer, es hieße die Telefons (oder gar wie im Volksmunde meist: Telefonkß), aber es heißt die Telefone; ebenso Trottoire, Reservoire. Löblicherweise aber sind vielen überflüssigen Fremdwörtern ihre Fremdbeugungen mitsamt ihrer wundervollen Aussprache verblieben, wodurch sie dem saubern deutschen Sprachgefühl mit der Zeit verekelt werden: die Kartonkß, die Biljetts, die Gobelänkß, die Porträß. Solange das letzte in der Form die Porträte erschien, wie noch bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts, war sein Scheinleben gefristet; den Porträß droht das Schicksal, durch die Bildnisse verdrängt zu werden.

An Kleinigkeiten wie der, ob die Mehrzahl von Monolog besser Monologen (so bei Schleiermacher) oder Monologe lautet, ist nichts gelegen; will oder muß man sie schreiben, so folge man dem zurzeit herrschenden Gebrauch (Monologe), denn deutsche Sprachgesetze kann es dafür nicht geben.

Peinliche Sorgfalt und Gelehrttuerei sind in der Behandlung der Fremdwörter ganz unangebracht. Das Geschlecht von Primat, Zölibat, Triumvirat, Zepter, Periode und andern schwankt oder schwankte, also auch hier entscheidet die jetzt überwiegende Übung: das Primat usw., die Periode. Spaßhaft ist die Spaltung von Moment in der und das, mit verschiedenen Bedeutungen. Das Moment gilt für feiner; es ist ein Schwammwort, das beliebig wechseln kann mit Faktor, Element, Koeffizient; der Moment wird im Volksmunde meist zu Momang.

Bei Goethe und sonst im 18. Jahrhundert hieß es die Nerve, heute der Nerv.

Für die Mehrzahl fremder Eigennamen gibt es keine durchgreifende Regel, das Ohr entscheidet. Die Neros, die Albas (aber ebensogut oder besser die Alba), die Ciceros, die Judasse, die Sophoklesse, die Phidiasse, die Tacitusse — sehr schön sind sie alle nicht; aber was sollen wir sonst tun, da wir nun einmal die Unbefangenheit der Franzosen mit ihren Tacite, Tite-Live, Eschyle, Aristophane viel seltener zu üben gewöhnt sind? Die bequemen Formen Ovid, Horaz, Catull, Properz, Vergil, Homer machen keine Schwierigkeiten. Es gibt aber keinen Fall, wo unbedingt Phidiasse, Tacitusse ge- $Seite 117$ schrieben werden muß; Aushilfen: Künstler wie Phidias, Geister wie Tacitus bieten sich bequem dar.

Überall da, wo eine alte feste Überlieferung vorliegt, lasse man es bei dem Geschlecht fremder Länder, Berge, Flüsse, Denkmäler und prunke nicht an falscher Stelle mit Gelehrsamkeit. Im Deutschen heißt es nun einmal der Peloponnes, der Ossa, die Rhone, das Parthenon, gleichviel wie die fremde Sprache solche Wörter behandelt. Bei Tiber hat sich mit der Zeit der durchgesetzt — welch großer Gewinn!


Zweifelsfall

Fremdwörter: Kasusformen

Beispiel

Museum, Museo, Gymnasiums, Gymnasii, Kollegiums, Kollegii, des Mediums, des Publikums

Bezugsinstanz Gelehrte, Alt
Bewertung

abschreckend, bequem, löblicherweise, Schmarotzer

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Fremdwörter: Pluralbildung

Beispiel

Komma, Kommas, Kommata, Dramen, Dramata, Dramas, Dramatis, Themata, Themen, Thema, Tempus, Tempora, Temporibus, Tempusse, Dogmen, Kollegien, Musikus, Physikus, Physici, Musici, Musiker, Physikusse, Kola, Kolons, Balkone, Balkons, Ballone, Sofa, Sofae, Sofas, Atlas, Atlasse, Atlanten, Motto, Porto, Rollo, Bravo, Mottos, Motti, Mottis, Gymnasisten, Gymnasiasten, Admiräle, Generäle, Admirale, Generale, Korporal, Hospital, Kanal, Tribunal, Arsenal, Leutnant, Leutnants, Majore, Majors, Tenöre, Tenor, Pastor, Pastöre, Motor, Motore, Motoren, Kondore, Kontore, Korridore, Telefons, Telefone, Trottoire, Reservoire, Monologe, Monologen, Monolog

Bezugsinstanz Sprachverlauf, gesprochene Sprache, Schriftsprache, süddeutsch, gehobene Sprache, Gegenwärtig, Sprachgelehrsamkeit, alt, Gelehrte, Fachsprache (Militärwesen), Norddeutsch, Süddeutsch, Volk, 19. Jahrhundert, Schleiermacher - Friedrich, gegenwärtig
Bewertung

Gelehrtenwelsch, vornehm, zu gelehrt, zu vornehm, zu dünkelhaft, schwere Bedrängnis, ruppig, vollkommner innrer Widerspruch, auf derselben Höhe, besser, bürgerlich, darf nicht, drollig, Frequenz/herrschend, Frequenz/meist, ganzgelehrt, geläufig, heiter, in Verzweiflung, löblicherweise, reizend, Spott, stillos, Unsinn, vorzuziehen, wenig dagegen

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Aussprache von Fremdwörtern

Beispiel

Balkone, Balkohn, Balkons, Balkonkß, Ballone, Ballonkß, Motor, Mótor, Motór, Moment, Monument, Motiv, Telefons, Telefonkß, Kartonkß, Biljetts, Gobelänkß, Porträß, Moment, Momang

Bezugsinstanz Fachsprache (Militärwesen), gesprochene Sprache
Bewertung

keine falsch, vollkommner innrer Widerspruch, bürgerlich, Frequenz/meist, löblicherweise, verekelt

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Fremdwörter: Genusvarianz

Beispiel

das Meter, der Meter, das Liter, der Liter, das Hektoliter, Kilometer, Thermometer, Barometer, Gasometer, Primat, das Primat, die Periode, Zölibat, Zepter, Moment, das Moment, der Moment, Faktor, Element, Koeffizient, die Nerve, der Nerv

Bezugsinstanz Volk, Mundart, Goethe - Johann Wolfgang, 18. Jahrhundert
Bewertung

Welschgeziefer, heilsamer, feiner, Frequenz/überwiegend, leider, spaßhaft

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Eigennamen: Genusvarianz

Beispiel

der Peleponnes, der Ossa, die Rhone, das Parthenon, der Tiber

Bezugsinstanz Alt, Sprachgelehrsamkeit
Bewertung

falsch, Gewinn

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Eigennamen: Flexion

Beispiel

Neros, Albas, Alba, Ciceros, Judasse, Sophoklesse, Phidiasse, Tacitusse, Ovid, Horaz, Catull, Properz, Vergil, Homer

Bezugsinstanz Volk
Bewertung

besser, ebensogut, sehr schön

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Wortbildung: Suffixkonkurrenzen bei Personenbezeichnungen

Beispiel

Tacitusse, Tacite

Bezugsinstanz
Bewertung

Frequenz/selten

Intertextueller Bezug