Satzgefüge und Satzbau 2. Der Zweitfall
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Buch | Engel (1922): Gutes Deutsch. Ein Führer durch Falsch und Richtig. |
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Seitenzahlen | 249 - 254 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Text |
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Weit verbreitet ist die Ansicht, eine der größten Schwierigkeiten des Deutschen sei die Unterscheidung von mir und mich, also des 3. und 4. Falles. Für den unsre Sprache erlernenden Ausländer trifft dies zu, dem Deutschen hilft sein erworbenes Sprachgefühl über die meisten Zweifel hinweg. Der am häufigsten begangene Fehler, grade im Schriftdeutsch, betrifft den 2. Fall. Obenan steht die Mahnung: Man schütze ihn und gebe ihm sein Recht im Satzgefüge, wo immer es angeht, denn kurze Beugung wirkt kräftiger als lange Umschreibung: ,der $Seite 250$ Preis dreier Pferde' ist besser als: ,.. von drei Pferden' . Leider reicht dieses Mittel bei Zahlen nicht über 3 hinaus; schon bei 4 muß es heißen: von vier Pferden. Sonst aber immer zuerst den Zweitfall versuchen: ,Eine große Zahl guter Bücher' , nicht: ,von guten Büchern' . Einem deutschen Schreiber, der ,die Vorstellung vom Schauspielhause' sagt, darf man den Rat geben, die Anfangsgründe seiner Muttersprache zu erlernen. Also niemals: ,Der Verfasser von diesem Stück, Wir fingen die erste Strophe von dem Liede ..' Mit Recht nannte Schopenhauer solche elende Fügungen ,Deutschfranzosenjargon'; nennen wir sie in deutschem Deutsch: Heimparisersprache. — Da, wo kein reines Verhältnis eines Teiles, Stückes, Besitzes vorliegt, sondern eine andre Form des Zusammenhanges, kann oder muß von stehen: die Sage von Lohengrin, nicht: .. Lohengrins; der König von Bayern; aber in der etwas edleren Fassung ,Bayerns König' siegt doch wieder das Vorrecht des Zweitfalls, wie überall da, wo er vorangehen darf, also in der Stellung des sogenannten ,sächsischen Genetivs' im Englischen. In manchen Fällen sind beide Fügungen zulässig: ,ein Werk Raffaels' oder ,ein Werk von Raffael' ; bei von wirkt der Gedanke ,von Raffaels Hand' mit. Dunkel bleibt die Bedeutung von ,ein Bildnis (selbst ein Bild) Raffaels' : es kann Raffael selbst darstellen, es kann von seiner Hand sein. Zur genauen Verdeutlichung bedarf es in beiden Fällen einer unzweideutigen Wendung, woran es den Deutschen ebensowenig fehlt wie den Franzosen, die in der gleichen Sprachverlegenheit sind. ,Ein Gedicht Goethes' und ,.. von Goethe' sind gleich richtig, doch walten kleine Sinnes- und Anwendungsunterschiede ob. ,Eine Säule vom Zeustempel' ist eine, die von ihm herstammt und jetzt irgendwo anders steht. Es schadet auch nichts, wenn hier gegenübergestellt werden: ,die Geburt eines Knaben, die Entbindung eines Knaben' ; daß das Letzte Unsinn und Sprachfehler zugleich ist, sieht der Leser ein, aber — ich habe es in einer großen Zeitung gedruckt gefunden. Zwei durch Zweitfallfügung aufeinander bezogene Hauptwörter müssen eng beisammen stehen: ,der Präsident Wilson der Vereinigten Staaten' ist unzulässig: er ist, sprachlich wenigstens, nicht der Wilson der Vereinigten Staaten, sondern ihr Präsident. — Nicht ,der Minister für Unterricht des Königs von Preußen' , sondern: ,der Minister des Königs $Seite 251$ . . für Unterricht' . Auch nicht: ,die Entsendung nach Rom des Fürsten Bülow' . Was bedeutet ,die Entziehung der Steuerpflicht' ? Etwa daß sich jemand seiner Steuerpflicht entzieht? Weit gefehlt; es kann im guten Deutsch nur bedeuten, daß jemandem die Pflicht, Steuern zu zahlen, entzogen ist. Der zielende Zweitfall — mit dem haben wir's hier zu tun — darf nur von Hauptwörtern gebildet werden, denen ein zielendes Zeitwort mit 4. Fall zugrunde liegt. Man entzieht sich der Steuerpflicht (3. Fall), also ist ,Entziehung der Steuerpflicht' unmöglich oder bedeutet etwas ganz andres, als was gemeint ist. Dagegen ist ,Entziehung der Ehrenrechte' richtig, denn hier heißt es: ,Das Gericht entzog jemand die Ehrenrechte' (4. Fall). ,Die Bekämpfung des Gegners' ist richtig (man bekämpft den Gegner); ,die Huldigung des Gegners' kann nur bedeuten, daß der Gegner irgendeinem huldigt, nicht daß man ihm huldigt. ,Die Angriffe der Feinde' sind nur die von den Feinden, nicht die gegen sie geführten. ,Die Berufung des Kammergerichts' kann niemals bedeuten die ans Kammergericht gerichtete Berufung, sondern allenfalls die Zusammenberufung des Kammergerichts. — ,Die Belebungsversuche des Burgtheaters' haben nicht zum Zweck, das Burgtheater zu beleben, sondern das Burgtheater bezweckt damit, irgendein Stück zu beleben. — ,Besserungsversuche des Sträflings' sind solche, die er selbst vornimmt, nicht die von andern mit ihm vorgenommenen. — ,Die Unkenntnis der Franzosen' ist nur ihre eigne, nicht meine von ihnen. ,Seine Unkenntnis der Franzosen' ist unmißverständlich. Ebenso wird ,das Gedächtnis dieses Tages' nicht falsch verstanden werden. — Mindestens hart ist ,die Furcht der Verantwortung' , ebenso ,meine Furcht der Verantwortung' , denn zugrunde liegt der Begriff: vor der Verantwortung. Goethes ,Furcht der Strafe' (in den Mitschuldigen) und Schillers ,Furcht der Inquisition' (statt: vor ihr), Haß der Freiheit, Hoffnung der Beute' sind nicht besser. In den stehenden Wendungen ,die Furcht Gottes, die Liebe des Nächsten' , allenfalls noch ,Liebe des Vaterlands' , was schon bei Lessing vorkommt, ist die Härte nur durch die Gewöhnung getilgt. Uhlands ,aus Haß der Städte' (gegen die Städte) ist gewagt und in der Prosa sehr bedenklich. Ebenso steht es um ,die Beiwohnung einer Sitzung, die Entsagung seines Glücks, das Mitleid des Kindes' (mit dem Kinde). $Seite 252$ Doppeldeutigkeiten wie ,das Lob des Freundes, die Beleidigung des Gegners, des Verlust meines Freundes' müssen durch den Zusammenhang unzweideutig werden oder eine andre Fassung erhalten. Der Grund für die Unzulässigkeit von Zweitfallfügungen in Fällen wie denen mit ,Belebungs- oder Besserungsversuch' , ferner mit ,Wiedersehensfreude der Heimat' liegt darin, daß der bestimmende Träger der Fügung in zusammengesetzten Hauptwörtern das letzte Glied ist. Die strengste Beachtung dieser im allgemeinen zutreffenden Regel wurde allerdings manche bequeme Fügung verbieten, und die Sprache hat sich zuweilen über sie hinweggesetzt: der ,Eröffnungstag der Ausstellung' wird nicht mehr als falsch empfunden, zumal da Ausstellungen allerlei ,Tage' haben. Nicht mißverständlich sind landläufige Wendungen wie ,der Geschichtschreiber der Päpste (nicht einer im Dienst der Päpste), der Sorgenbrecher des Alters' ; hier haben sich mit der Zeit selbständige Neubildungen durchgesetzt, bei denen man nicht mehr die Bedeutung jedes Einzelgliedes abwägt. Dennoch gilt der Rat: lieber zu streng als zu läßlich, denn ein Schritt vom Wege führt in den Doppelsinn oder den Unsinn. Folgen mehre Zweitfälle im Fügungsverhältnis aufeinander, so ist zu beachten, daß man dem bestimmenden Wort keine größere Last aufpacken darf, als es tragen kann: ,die Beschäftigung der Arbeiter' ist unter Umständen eine Sache der Stadt, aber dann muß das klar gesagt werden: .. durch die Stadt, nicht: ,die Beschäftigung der Stadt der Arbeiter' . Und falsch ist die Stellung: ,die Bearbeitung Goethes des Urgötz' , was gebessert werden muß und kann in: ,Goethes Bearbeitung des Urgötz' . Das Beispiel ist verwandt dem vom Präsidenten Wilson auf S. 250: bestimmendes und gefügtes Hauptwort müssen beisammen stehen. — ,Grimms Goethes Leben' geht nicht; nur: ,Grimms Leben Goethes' ; auch ,Goethes Leben Grimms' würde die Sache nicht bessern. Selbst ,C. F. Meyers Huttens letzte Tage' bleibt eine Härte, die besser vermieden wird. Heftig getadelt wird als ,falsch und liederlich' der gäng und gäbe Ausdruck ,zur Steuerung (oder Abhilfe) des Notstandes' . Der Tadler steht auf seinem Schein: auf der Regel, daß nur Hauptwörter von einem zugrunde liegenden Zeitwort mit 4. Fall so gefügt werden dürfen, und besteht auf seinen Schein: Weg mit dem Ausdruck, denn man steuert und hilft $Seite 253$ ab dem Notstande. An der Festigkeit solcher fester Wendungen aber zerbricht die Regel, und der Sprachgebrauch siegt. Steuerung wird heute empfunden wie Abstellung; Abhilfe nicht ganz so. Nicht zu viele, selbst paarweis an sich richtige, Zweitfälle in Abhängigkeit nacheinander! Unwillkürlich taucht der Vergleich mit dem Bandwurm auf bei Fügungen wie: ,Die Erklärung dieses Verses des dritten Auftritts des vierten Aktes der Jungfrau von Orleans. — Es gibt keine Beschreibung des Äußern der Geliebten des unglücklichen Märtyrers der Poesie und der Liebe. — Die Gefahr der Verschlimmerung des Zustandes des Bruders der Frau ..' Oft hilft nur ein vollständiger Umbau des Satzes, z. B.: ,Die Gefahr, daß sich der Zustand des Bruders der Frau verschlimmere ..' Man versteife sich nicht auf Hauptwörter; sie sind vielfach eine reiche Quelle schlechten Stils (vgl. S. 348): ,Die Zulässigkeit der Berücksichtigung der Unkenntnis der Tatsache der Existenz einer solchen Verordnung ist vom Gesetz nirgends versagt' (Reichsgerichtsentscheidung). Bei zusammengesetzten Hauptwörtern, die durch ein Vorwort zu einer näheren Bestimmung gefügt werden, lauert fast immer die Gefahr der Wahl des unpassenden Vorwortes oder die einer überhaupt unmöglichen Fügung. ,Der Scheidetag von der Heimat, die Pflichtenlehre gegen Gott, das Ausfallsgefecht aus Metz, die Vorbereitungszeit auf die Prüfung, die Badeluft im Meer, das Übersetzungsrecht ins Englische, Reiseerinnerungen nach Griechenland, die Ausfuhrmöglichkeit aus Kanada' — die Unzulässigkeit solcher Wendungen leuchtet ein, denn es gibt zwar ein Scheiden von der Heimat, aber keinen Tag von ihr; eine Vorbereitung auf die Prüfung, aber keine Zeit auf sie, u. s. w. Die gestrengsten Herren der Sprachlehre lassen hier kaum eine Ausnahme zu; das Sprachleben kümmert sich nicht um sie, sondern fragt nur nach seinen erlaubten Bequemlichkeiten und berechtigten Bedürfnissen, und kraft des Gewohnheitsrechtes wird richtig oder doch erträglich, was nach der allgemeinen Regel falsch wäre. Ist Lessings ,Einführer in die Welt' richtig, dann wird man zur Not auch den ,Übersetzer ins Englische' gestatten müssen, und von solchen Wendungen bis zum ,Todesfall an den Pocken' und zur ,Bibelübersetzung ins Englische' führen kaum merkliche erleichternde Übergänge. $Seite 254$ Entscheidend für das Recht zu solchen Fügungen ist das Sprachgefühl für das Übergewicht des letzten Gliedes vor dem ersten: je stärker der Sinn des ersten Gliedes mitempfunden wird, desto unmöglicher wird eine Fügung, worein das erste Glied nicht paßt; je mehr das erste Glied sich dem Beiwort nähert, desto geringer wird sein mitbestimmender Einfluß. Aber es besteht ja kein Zwang zu solchen gefährlichen Fügungen! Paßt ein Vorwort, das dem ersten Gliede entspräche, aber dem zweiten widerstreitet, nicht zur Fügung des ganzen Hauptwortes, so wähle man ein nichtanstößiges Vorwort allgemeinerer Bedeutung. ,Ein Ausfuhrverbot des Rindviehs von Landrat Schulze' könnte zu einer Beleidigungsklage oder zu einem Beitrag für Witzblätter führen; an dem ,Ausfuhrverbot eines Landrats gegen Rindvieh' , einem ,Einfuhrverbot gegen Rindvieh' wäre nichts auszusetzen. Die unendliche Zusammensetzungsmöglichkeit im Deutschen verführt manchen Schreiber, besonders in der Zeitung, aus den vielseitigsten Wendungen ein einziges Hauptwort zusammenzuschweißen, das keinen klaren Sinn ergibt. Aus einem Antrag über den Religionsunterricht der Dissidentenkinder darf man keinen ,Dissidentenantrag' machen. Dergleichen mag als formelhaft abkürzendes Stichwort in der Umgangsprache der Kanzleien hingehen, für die gepflegte Schriftsprache taugt es nicht. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Schriftsprache, England, Zeitungssprache, Frankreich, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Lessing - Gotthold Ephraim, Uhland - Ludwig, Schreiber schlechten Stils, Fachsprache (Rechtswissenschaft), Behördensprache, Gehobene Sprache |
Bewertung |
weit verbreitet, Mahnung, kräftiger, Deutschfranzosenjargon (Schopenhauer), Heimparisersprache, etwas edler, zulässig, dunkel, es schadet auch nichts, letzter Unsinn und Sprachfehler, unzulässig, unmöglich, richtig, unmißverständlich, mindestens hart, nicht besser, Härte nur durch die Gewöhnung getilgt, sehr bedenklich, unzweideutig, nicht mehr als falsch empfunden, nicht mißverständlich, an sich richtig, reiche Quelle schlechten Stils, unmöglich |
Intertextueller Bezug | Schopenhauer |