Die Asche hat sich aufbewahrt statt ist aufbewahrt worden

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 218 - 219
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Unsicherheit
Text

Aus Frankreich und vor allem wieder durch das Junge Deutschland und seine journalistische Tätigkeit ist das Reflexivum in verheerenderem Zuge über unser Passivum hereingebrochen. Fast ausnahmslos darf man denn auch verwerfliche Gallizismen überall wittern, wo sich ein Reflexiv ungezwungen in das einfache Passiv auflösen läßt//1 Dasselbe Mittel genügt ebenso, um von übertriebener Gallizismenjagd abzuhalten, z. B. auf solche Sätze wie: Das Leben setzt sich nur aus kleinen Ereignissen zusammen. Das Haus füllte sich ganz allmählich. Auch im Deutschen ist das Reflexiv nämlich am Platze, wo es sich um einen Vorgang handelt, der sich allmählich und ungemacht vollzieht aber doch ohne daß die ihn herbeiführenden genannt werden könnten. So auch wenn es bei Goethe heißt: Drum füllt sich das Bier in den Krügen, bei Eltze: Es braut sich ein Unheil zusammen. Selbst der Satz kann so erklärt werden: Unter dem Paris, durch welches wir gehen, hat sich ein anderes gebaut (Rodenberg).//; so z. B. in den zwei Sätzen: Meine Abreise bestimmte sich plötzlich durch eine günstige Nachricht, und: Die ganze Nation durchdringt sich von solchem Sinn (Treitschke!). Bei Auerbach steht gar: Die Andacht des Hauses unterbricht sich, wie denn der ganze Mißbrauch, außer bei den nach Paris ziehenden Jungdeutschen, besonders auch bei den Frankreich nahen West-, zumal Südwestdeutschen heimisch ist. Schließlich geht es bis zum Widersinn: So früh hielt sich heute der Senat, oder: Der Krieg zwischen dem Verbrecher und der Polizei hat sich nun erklärt. Und wenn wir dann bei dem nämlichen, der diese beiden Sätze auf dem Gewissen hat, z. B. lesen: Der Roman verkauft sich in großem Format mit Illustrationen, so vernehmen wir darin deutlich den Jargon des Kaufmanns, von dessen Ware sich das Dutzend so und so hoch verkauft oder das Stück sich stellt oder sich berechnet, sich herstellt zu dem Preise; und nicht besser klingen die Sätze des Grafen Keyserling: Diese Frage stellt sich überhaupt nicht mehr, und: ebenso wenig stellt sich die Frage, ob ... Auch dadurch, daß eine Qualitätsbestimmung eingefügt wird, wird dieses Reflexiv nicht schlechthin schriftgemäß. Wenn man dem Kaufmann Wendungen zugesteht wie: Diese Größe verkauft sich schwere als jene; die Ware bringt sich bei diesem Preise schlecht unter, so mag man allgemeiner auch das oft zu hörende: Es begreift, erklärt sich leicht belieben statt des längern: es läßt sich ..., es ist leicht zu begreifen. Ja: es macht sich nicht, es fragt sich; es findet sich nichts (keine Stelle), es fügt sich nicht können nach der Anmerkung unten kaum anders lauten. Aber damit ist z. B. Auerbachs Ausdruck: Es tat sich nicht anders, noch nicht gleich schriftgemäß wie der Goethes: Es läßt sich anders nicht tun. Auch $Seite 219$ gegen es fragt sich (nur), ob — ist nichts einzuwenden, soweit es rein unpersönlich ist und fast soviel als es ist fraglich bedeutet; aber es verdient Tadel in einem Satze, wo von einem wirklichen Fragen und Forschen die Rede ist: Es fragt sich nur nach der besten Art der Empfehlung des nationalen Geistes (Tgl. R.). Selbst das immer häufigere sich nennen (Er nennt sich Peter Rüffer) ist nichts als der Abklatsch des französischen se nommer, außer wenn betont wird, daß sich jemand selbst den Namen beigelegt oder von sich gebraucht habe.

§ 225—227: Wie in kühnen Neuschöpfungen (§ 4) wirkt sich die lebhafte Sprachbewegung der jüngsten Zeit auch in vielfachen Verrückungen der Grenzen zwischen transitiven, intransitiven und reflexiven Zeitwörtern aus, nicht als ob solche Verschiebungen etwas ganz Neues wären, nur werden sie aus dem Zuge nach Verjüngung und Neuheit der Sprache wie aus dem Gefühl für deren Kraft jetzt weit häufiger gewagt.


Zweifelsfall

Verb: Passivkonstruktionen

Beispiel
Bezugsinstanz Auerbach - Berthold, Eltze - A. (?), Goethe - Johann Wolfgang, Keyserling - Hermann Graf, Geschäftssprache, Zeitungssprache, Literatursprache, Rodenberg - Julius, Zeitungssprache, Treitschke - Heinrich von, süddeutsch, westdeutsch
Bewertung

Abklatsch des französischen, am Platze, Frequenz/allgemeiner, Frequenz/immer häufigere, Frequenz/oft zu hörende, ist nichts einzuwenden, kann so erklärt werden, längern, Mißbrauch, nicht besser, nicht gleich schriftgemäß, nicht schlechthin schriftgemäß, verdient Tadel, verwerfliche, Widersinn

Intertextueller Bezug