Eine Fata morgana, die sie vor sich sieht und ihr zutrachtet

Aus Zweidat
Wechseln zu: Navigation, Suche
Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 299 - 301
Externer Link zum Kapiteltext

Nur für eingeloggte User:

Unsicherheit
Text

Für einen ungezwungenen, frischen und munteren Stil ist innerhalb desselben Gebietes sogar noch ein Zugeständnis zu machen, daß nämlich die für das zweite Glied benötigte richtige Fügung durch ein hinweisendes Fürwort angedeutet wird, freilich möglichst nur in der leichten Form des persönlichen Fürwortes, besonders er, sie, es mit dem zugehörigen zueignenden (sein, ihr) und der vertretenden Adverbien darin, dadurch u. ä. Denn der Mangel jedes Ausdruckes für das Abhängigkeitsverhältnis $Seite 300$ im zweiten Satze würde doch oft zu schwer empfunden werden; so wenn Schiller in dem Satze: Sprüche, die der Wandersmann verweilend liest und ihren Sinn bewundert, das besitzanzeigende ihren hätte weglassen wollen. Auch in dem Satze einer Homerausgabe: Der Kampf um die Leiche des (!) Sarpedon, deren sich Patroklus zuletzt bemächtigt und sie der Waffen beraubt, und in dem Mommsens: eine schändliche Gewalttat, vor der jedermann schauerte und sich dabei der furchtbaren Herrschaft des Schreckens erinnerte, würde man etwas vermissen, wenn die Formwörtchen sie und dabei fehlten. Schon Wolfram v. E. bietet: Des steines phligt iemer sider, die got derzuo benende unt in sîn engel sande; und Gottfried Keller öfter derartiges: Es schwebte wie ein Stein vor uns, nach welchem sich unsre Reden richteten und sich dort vereinigten. Und wenn die Fügung dann von Luther bis auf die Klassiker schon häufig war, so ist sie es noch heute nicht minder//1 Während das Lateinische diese Freiheit nicht kennt, sondern die Freiheit im Satzbau hier wie meist der strengen Regel opfert, ist diese Freiheit, wie im Deutschen, so auch im Griechischen zu hause. Da aber die Griechen trotz oder gerade bei ihrem Kunstverständnisse, das sie die Verschiedenheit des Stils Homers und der Geschichtsschreiber und Redner wohl zu würdigen befähigte, auch in der vollendetsten Prosa ein Relativum durch eine Form des schwerfälligeren aytos (= derselbe) fortsetzten, so braucht sich auch heute kein Deutscher vor dem Vorwurfe der Willkür und Gesetzlosigkeit zu fürchten, wenn er sich größerer Glätte und Leichtigkeit, dem Sinne und Wohlklange zuliebe eine freiere Fügung gestattet, die ursprünglich sogar noch häufiger war. Auch die der unsern verschwisterte englische Sprache kennt sie ja, und Übersetzung daher ist der Satz nach Drummond: Ist es darum, weil dich jemand lieb hat, den du auch morgen wiedersehn, mit ihm zusammensein und ihn lieb haben willst?//. E. T. A. Hoffmann schrieb: ein wunderbarer Jüngling, den der Graf ... liebte und ihm, da er kinderlos war, sein ganzes Vermögen zuzuwenden gedachte; dieselben Ohrgehänge, die ich schon vor mehreren Tagen trug und mich daran ergötzte; dem alten Freiherrn, dem er sogleich sein Vertrauen schenkte und ihn in seinem Amte bestätigte; u. ä. oft R. Hildebrand: Darüber hätte ich viel auf dem Herzen, das ich gern in einer ähnlichen Schrift ausschütten möchte und dazu gleich dies und das aus Ihrer Schrift gebrauchen könnte; und: Dies leistet Ihr Wort pommier doch nicht, das weit abstrakter ist, unsers (Apfelbaum) aber konkret anschaulich; Herm. Löns: Du, von dem ich nicht weiß, wer du bist, den ich niemals gesehen habe und der vor meinen Augen steht, vor dem ich Angst habe und vor Sehnsucht nach ihm sterbe; D. Ztg. 1918: Das ist der Gedanke, dem sie fort und fort vertreten und das Volk damit mürbe machen; Hilm. Kalliefe: Früher oder später bauten sie an dieselbe Stelle eine Kirche, der die Steinkreuze weichen oder mit dem Platz in ihrer Nähe vorlieb nehmen mußten; und W. Flex: des Märchens von den badenden Wasserweibern, deren Hemden ein Held am Ufer findet und durch ihren Raub die fremden Wesen zwingt, Rede und Antwort zu stehen. Diese Fortführung verdient vor der regelrechteren, bei welcher das Relativ im Anfange des zweiten Satzes in der durch diesen geforderten Form wiederholt wird, dann sogar den Vorzug, wenn die Nebensätze inhaltlich eng zusammenhängen und die dieses Verhältnis andeutende Zusammenziehung durch Wiederholung des Relativums für alle Satzteile unmöglich gemacht würde; das heißt aber nichts anders als: wenn die sogenannte richtigere Form der Sache weniger entspräche. Dies wird am deutlichsten, wenn der zweite Satz kurz ist und gewisser- $Seite 301$ maßen nur eine besondere Art der im ersten angegebenen Tätigkeit anführt; z. B. wenn J. Grimm schreibt: wie dem zu Mute sein muß, der sein Haus auf offner Straße auferrichtet, vor welchem die Leute stehen bleiben und es begaffen; das stehen bleiben und begaffen ist eins und würde garstig zertrennt durch eine Wiederholung des Relativs und, wie dann notig würde, auch des Subjekts: und welches sie begaffen. Auch in einem längeren Satze wie dem Luthers: Einer klaget sein Elend, daß er von seinen Kindern, die er ausgestattet und ehrlich begabet, ja alle seine Habe auf sie gewandt habe usw. würde das Wichtige, die Aufwendung aller Habe, mehr als eine Tonstärke verlieren, wenn das das Beziehungswort aufnehmende Relativ beherrschend an die Spitze träte. Man spanne nur auch einmal den folgenden Satz Bornhaks in die Zwangs- oder Korrektionsjacke, wie es für die pedantischen Füger des Korrekten besser heißen dürfte, und er wird steif zum Entsetzen: Sonderlich wird er der väterliche Freund der Prinzessin Vicky, dem sie alle Kindersorgen und -freuden mitteilt, später mit ihm und für ihn Arbeiten anfertigt; dafür hieße es also dann: mit dem und für den sie später usw.


Zweifelsfall

Koordinierte Nebensätze

Beispiel
Bezugsinstanz gegenwärtig, Bornhak - Friederike, 20. Jahrhundert, Zeitungssprache, Hoffmann - Ernst Theodor Amadeus, Keller - Gottfried, Löns - Hermann, Kalliefe - Hilmar, Grimm - Jacob, Literatursprache, Luther - Martin, Luther - Martin, Mommsen - Theodor, gegenwärtig, Hildebrand - Rudolf, Literatursprache, Literatursprache, Schiller - Friedrich, ursprünglich, Sprachverlauf, Flex - Walter, Wolfram von Eschenbach, Homer
Bewertung

braucht sich auch heute kein Deutscher vor dem Vorwurfe der Willkür und Gesetzlosigkeit zu fürchten, der Sache weniger entspräche, freiere Fügung, Freiheit, Frequenz/häufig, Frequenz/oft, Frequenz/öfter, Frequenz/ursprünglich sogar noch häufiger, für einen ungezwungenen, frischen und munteren Stil, garstig, größerer Glätte und Leichtigkeit, dem Sinne und Wohlklange zuliebe, leichten Form, regelrechteren, richtige, sogenannte richtigere Form, steif zum Entsetzen, vierdient sogar den Vorzug, würde doch oft zu schwer empfunden werden, würde man etwas vermissen, Zwangs- oder Korrektionsjacke

Intertextueller Bezug