Ersatz des Konjunktivs durch Hilfszeitwörter

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 369 - 371
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Unsicherheit
Text

Ganz ohne Hilfsverben des Modus, namentlich sollen, mögen und auch wollen, auskommen zu wollen, wäre freilich vom Standpunkte unsrer Sprache von je vergebliches Bemühen gewesen. Um z. B. die Absicht auszudrücken, die einer im Auftrage eines dritten ausführen soll, können wir der Formen von sollen kaum entraten, vor allem nie, wenn das regierende Verb die Natur des $Seite 370$ abhängigen Satzes nicht ohne weiteres klarstellt und in diesem eine nich ausschließlich zum Ausdrucke der Absicht dienende Form steht. So kann ich wohl sagen und sage am besten: Sie verlangte, daß die Kerle schwiegen, wenn auch die Fassung daß die Kerle schweigen sollten als deutlicher nimmer beanstandet werden kann. Wäre das regierende Zeitwort sagen, neben dem auch eine bloße Mitteilung im Konjunktiv stehen kann, so müßte diese letzte Form sogar gewählt werden, wie es auch ohne daß nur lauten kann: sie sollten schweigen. Auch im Relativsatze ist der bloße Konjunktiv zum Ausdruck der Absicht mehr der lateinischen Sprache angemessen: Er schickte eine Kompanie zur Unglücksstelle, die die Verschütteten ausgrüben, als der deutschen, in der man lieber sagt: ausgraben sollten. Ähnlich wird man den Entschluß oft kaum ohne wollen und den Wunsch, den einem ein andrer erfüllen soll, ohne mögen wiedergeben können: Sie bat, daß er niemand etwas sagte und sagen möchte (solle), aber nur: Sie bat, er möchte (soll[t]e) nichts sagen. Im übrigen sollte man sich freuen, daß der Gebrauch der Hilfszeitwörter in gewissem Sinne selbst gegen das Mittelhochdeutsche eingeschränkt und zum Segen des Fortbestandes der alten einfachen und so schönen Konjunktivformen und gemäß deren heute empfundener Grundbedeutung geregelt ist. Wer auf sich achtet, wird daher mit diesem Sprachmittel gebührend haushälterisch umgehn und sich, wo es möglich fällt, mit dem einfachen Konjunktive begnügen//1 Man kann daher O. Erdmann durchaus nicht zustimmen, wenn er in seinen Grundzügen (S. 131) ganz allgemein angibt, ein Beispiel: wie niemand lebt, der das besser verstünde, könne gleichmäßig umschrieben werden: ... verstehen könnte, möchte, sollte. Diese Auffassung kann freilich kaum wundernehmen, da er auch von der Umschreibung mit würde, d. h. dem eigentlichen Konditional, ebendort sagt, daß er ohne Anstoß in bedingenden und einräumenden Nebensätzen gebraucht werden könne, ähnlich einem österreichischen Lehrer, der in der Ztschr. f. d. Deutsch. Unterr. 1891 die Beschränkung des Konditionals auf den Bedingungshauptsatz als eine Forderung des grammatischen Idealismus hinstellt. — Der innere Grund für die Unzulässigkeit des Konditionals im bedingenden Vordersatze wird aus der Art und Entstehung der Bedingungs- und verwandten Sätze § 365, 4 dargelegt werden. Ein andrer Grund liegt in der Bedeutung des Wortes werden, die wohl geeignet ist, das Bedingte zu umschreiben, das dann eintritt, wird, wenn eine vorhergesetzte Bedingung eingetreten ist, also ein Folgendes, nicht ein Vorhergehendes, das deshalb noch lange nicht der Zukunft angehört, weil es ein für die Gegenwart als nichtwirklich Vorgestelles ist. Als freilich die Umschreibungen mit werden sich bildeten, zahlreicher erst seit dem 14./15. Jahrh., da ist auch die mit würde von der tastenden Sprache ebensogut in Nebensätzen angewendet worden (vgl. Nicl. v. Wyle, Translationes. Stuttgart, S. 287, 35. 312, 25. 314, 24). Aber wie die Indikativumschreibung: da ward er lachen = alsbald lachte er so gut wie ausgestorben ist, so hat auch die Konjunktivumschreibung mit würde lediglich auf die Bedeutung des Konditionalis eingeschränkt werden können. Die gute Schriftsprache wenigstens hat bis auf verschwindende Ausnahmen diese Beschränkung herausgearbeitet und festgehalten; warum soll da mundartlichen Ausbreitungen des Mißbrauchs der Konditionalformen zuliebe das Richtige aufgeopfert und ein feiner Unterschied zertrümmert werden, den wir beim Übersetzen ins — Französische beachten müssen? Weiter ist die Scheidung der Sätze, in denen der Konditional soll vorkommen dürfen (Bedingungs- und alle Arten einräumender Nebensätze) und in denen nicht (außer Absichtssätzen vergleichende mit als ob, als wenn), ganz willkürlich; tatsächlich hat sich ja der Mißbrauch auch in die letzten Satzarten eingeschwärzt. Dazu kommt, daß die einräumenden Sätze in bezug auf den Modus nicht in einen Topf geworfen werden dürfen, insofern Sätze mit wiewohl, obwohl, -gleich, -schon auf einer andern Hauptsatzform beruhn als die mit wenn(auch, -schon). Jene nämlich auf einem Fragesatze, also daß in ihnen sogut wie in diesen der Konditional möglich ist; diese auf Bedingungssätzen mit wenn, also daß ihnen so gut wie diesen und ihrer gemeinsamen $Fußnote auf nächster Seite fortgeführt$ Grundlage, den Wunschsätzen, der Konditional nicht zukommt. Auf alle Fälle sollte nicht ein Brauch in einem wissenschaftlichen Buche wie Erdmanns erst (S. 131) als ohne allen Anstoß befolgbar hingestellt werden, wenn durch gelegentliche Bemerkungen (S. 127: „seltner in bedingenden Nebensätzen", S. 131: „obwohl hier der ein-fache Konjunktiv Präteriti vorgezogen wird") gleichzeitig bestätigt werden muß, daß die Waage noch lange nicht zu gunsten des — Unrichtigen steht. — Ein falsches würde, sogar im Hauptsatz, enthält die Erzählung bei H. Mann: Als die Bande wieder hinaus-stürmte, würde sie den Karl Balsich überrannt haben (statt: hätte sie ihn beinahe überrannt). Er stand auf dem Treppenabsatz.//.

$Seite 371$ Welcher noch nicht alles Sprachgefühls bare Leser empfände nicht die unnötige Häufung der Moduszeichen in Sätzen wie den folgenden überaus lästig? Du möchtest, daß ich dir mit jeder Post lange Briefe aus der belagerten Stadt schreiben solle (statt schriebe), schreibt Eltze, und ein andermal: Die Gewißheit, daß, wenn auch das Schlachtenglück ebben und fluten möge, der Zweck des Krieges doch endlich erreicht werden muß, gar mit dreifacher Bezeichnung der Einräumung und einer Vermischung mehrerer Fügungen, die nur jede für sich berechtigt sind: wenn auch das Kriegsglück ebbt und flutet oder ebbe und flute oder ebben und fluten sollte, allenfalls auch ebben und fluten mag, oder endlich: mag (nicht möge!) auch das Kriegsglück ebben und fluten. Nicht nachahmenswert schreibt auch Th. Mann: Um die Schuld Englands möge es wie immer stehen: die menschliche Freundlichkeit derer, die es im Juli 1914 zu regieren glaubten, ist ein sehr schwacher Beweis gegen sie; und ebenso H. A. Korff: Möge auch Goethe in vielen Einzelheiten übertroffen sein, von der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges überzeugt uns immer noch am tiefsten Goethe selbst.


Zweifelsfall

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Beispiel
Bezugsinstanz alt, Eltze - A. (?), Mann - Heinrich, Schreiber guten Stils, Schriftsprache, Korff - Hermann August, gegenwärtig, mittelhochdeutsch, Mundart, Wyle - Niklas von, Sprachverlauf, 15. Jahrhundert, 14. Jahrhundert, Mann - Thomas
Bewertung

als deutlicher nimmer beanstandet werden kann, das Richtige aufgeopfert, einfachen, falsches, feiner Unterschied zertrümmert, Frequenz/so gut wie ausgestorben, Frequenz/verschwindende Ausnahmen, Frequenz/zahlreicher, kann ich wohl sagen und sage am besten, man lieber sagt, mehr der lateinischen Sprache angemessen als der deutschen, Mißbrauch, Mißbrauchs, möglich, müßte sogar gewählt werden, nicht, Nicht nachahmenswer, nicht zukommt, nur, nur jede für sich berechtigt, nur lauten kann, oder, so schönen, statt, Unzulässigkeit, Vermischung mehrerer Fügungen, Waage noch lange nicht zu gunsten des - Unrichtigen steht, Welcher noch nicht alles Sprachgefühls bare Leser empfände nicht die unnötige Häufung der Moduszeichen in Sätzen wie den folgenden als lästig, Wer auf sich achtet, wird daher mit diesem Sprachmittel gebührend haushälterisch umgehn und sich, wo es möglich fällt, mit dem einfachen Konjunktive begnügen, wird man kaum ohne wiedergeben können

Intertextueller Bezug O. Erdmann: Grundzügen (S. 131), österreichischen Lehrer: Ztschr. f. d. Deutsch. Unterr. 1891, Erdmann: S. 131, Erdmann: S. 127, Erdmann: S. 131