Muster abhängiger Rede

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 368 - 369
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Unsicherheit
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Unsere der Sprachgeschichte Rechnung tragenden Aufstellungen mag noch die Betrachtung einiger Stellen bei Schriftstellern als stichhaltig und ausreichend erweisen. Unter den Klassikern ist es Goethe, aus dessen besten Prosawerken sie schon fast alle hätten gewonnen werden können; und auch bei Schiller sind die Schwankungen im Gebrauch nur noch gering. Noch vollständiger zeigt G. Keller, von der oben erwähnten berechtigten Freiheit abgesehn, in der Anwendung der beiden Konjunktivreihen ganz die Festigkeit und Natürlichkeit, die wir durch unsre Regeln zu sichern suchen, weil sie in einer frei beweglichen und doch sauberen Sprache gesichert sein müssen. Auf feiner Abtönung des Gedankens beruht denn der Wechsel: Marianne wollte nicht Wort haben, daß sie ihn so lange nicht bemerkt hätte — hierin zittert eine Erregung nach, die sich wörtlich etwa so Luft gemacht haben würde: Ich hätte dich solange nicht bemerkt?sie behauptete, daß er ihr damals vor allen andern gefallen und daß sie seine Bekanntschaft gewünscht habe (einfache Mitteilung einer subjektiven Behauptung). Oder wenn bei Eltze steht: Wir dachten, es müsse sich eine Stimme erheben, sei es von den Männern im Amte oder von der Opposition, die uns zuriefe, so klingt in der letzten Form ein Wunsch an, für den keine Erfüllung abzusehn gewesen ist. In dem Satze der Köln. Ztg.: man bemüht sich die Ansicht zu verbreiten, daß der Ausbruch eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei der deutschen Politik im Grunde gar nicht unangenehm wäre und daß deswegen der mächtige Einfluß des Grafen Hatzfeld nicht voll eingelegt worden sei, genügt der Konjunktiv der Gegenwart für den letzten Satz vollauf, um einen Gedanken dritter schlechthin und unbedingt, natürlich mit dem Zeichen der Abhängigkeit auszusprechen, während den Worten $Seite 369$ angenehm wäre in Abhängigkeit derselbe bedingte//1 Daß für die bedingten und die unbedingten Aussagen auch in den abhängigen Sätzen eine verschiedene Form gewonnen ist, bedeutet jedenfalls ein Hauptziel und das fühlbarste Ergebnis der allmählichen Grenzregulierung auf dem Gebiete des Konjunktivs. über unberechtigtes würde in der abhängigen Rede vgl. S. 372, Anm. 1.// Sinn innewohnt, den sie auch unabhängig hätten: „nämlich wenn er wirklich erfolgen sollte“. Lehrreich ist auch der Satz G. Kellers: Er bedachte, wie nahe die Gefahr bestanden habe (subjektive Vorstellung einer ehemals möglichen Gefahr), daß ein andrer als sein Vater die Mama bekommen hätte (schon direkt: Wenn nun aber ein anderer die Mama bekommen hätte!) und was aus ihm, dem Sohne, geworden wäre (Nachsatz einer Bedingungsperiode der Nichtwirklichkeit).

Zum Schluß ein längerer Abschnitt aus demselben neueren Meister als Muster einer streng durchgeführten abhängigen Rede: Jetzt öffnete Regine auf einmal ihr Herz: sie habe sich auf diesen Tag gefreut, um sich von Erwin satt sprechen zu können. Die andern Frauen sprächen (Ersatz für das undeutliche: sprechen) nie von ihren Männern, und auch von dem ihrigen, nämlich Erwin, täten (wieder Ersatz) sie es nur, um alles Mögliche auszufragen oder die Neugierde nach Dingen zu befriedigen, die sie nichts angingen (Ersatz). Da schweige sie lieber auch; mit mir aber, der ich ein guter Freund sei, wolle sie nur reden, was sie freue. Sie fing also an zu plaudern, wie sie auf seine baldige Ankunft hoffe, wie gut und lieb er sei, auch in den Briefen, die er schreibe, was er für Eigentümlichkeiten habe, von denen sie nicht wisse, ob sie andre gebildete oder reiche Männer auch besitzen (vgl. § 371), die sie aber nicht um die Welt hingeben möchte (Ausdruck der Erregung, der schon unabhängig stünde: ich möchte sie nicht hingeben!); ob ich viel von ihm wisse aus der Zeit, ehe sie ihn gekannt? ob ich nicht glaube (vgl. S. 367), daß er glücklicher gewesen sei als jetzt. Außer Keller folgen demselben Gesetz durchaus z. B. Storm, C. F. Meyer, Riehl, W. Raabe.


Zweifelsfall

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Beispiel
Bezugsinstanz Meyer - Conrad Ferdinand, Eltze - A. (?), Keller - Gottfried, Schreiber guten Stils, Goethe - Johann Wolfgang, Literatursprache, Köln, Zeitungssprache, neu, Riehl - Wilhelm Heinrich, Schiller - Friedrich, Storm - Theodor, Raabe - Wilhelm
Bewertung

berechtigten Freiheit, Festigkeit und Natürlichkeit, frei beweglichen und doch sauberen Sprache, genügt vollauf, Lehrreich, streng durchgeführten, unberechtigtes, undeutliche

Intertextueller Bezug