Schwanken zwischen den beiden Konjunktivreihen in Vergleichssätzen (als ob u. dgl.)

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 365 - 366
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Unsicherheit
Text

Aus der Fähigkeit des präteritalen Konjunktivs, das Nicht-Wirkliche zu bezeichnen, erklärt sich seine bis vor kurzem ziemlich unbeschränkte Herrschaft in Vergleichssätzen mit als ob, als wenn oder mit bloßem als bei Fragesatzstellung, wieder gleichmäßig nach Haupt- und Nebentempus. Sätze wie die beiden aus den Grimmschen Märchen: Die fielen, als regneten sie, und: Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingest, sind nicht nur dort, sondern im gesamten Schrifttum ohne Zahl zu lesen gewesen; ebensogut auch in der andern Form: Mir ist, als hörte ich... oder als hätte ich schießen hören. Durchaus entsprechend fügt E. T. A. Hoffmann: So war es mir, als wären die Träume einem andern, nicht mir geschehen, und: Ich fuhr in den Ärmel, als trüge ich noch die Mönchskutte, wo es sich um Nicht-Wirkliches handelt. Aber andere Sätze bei ihm zeigen einen Fortschritt in der Richtung, mit präsentischem Konjunktiv den Schein der Wirklichkeit zu malen: Es war, als ginge ein Gewimmer durch die Lüfte und ersterbe im Sausen des Sturmes. — Es war, als wenn der Geist des Himmels in mein Inneres dringe und vor seinem Strahl $Seite 366$ alle sündliche Glut erlösche. Auch Musäus bietet (1805): Um ihrem edeln Wuchs zu verhüllen, hatte sie eine Schulter gepolstert, als sei sie verwachsen. Vollends haben die jüngeren Schriftsteller, dabei aber schon in den Spuren Goethes wandelnd, voran G. Keller, C. F. Meyer und Storm, in vollstem Gegensatz zu dem ehedem allgemein herrschenden imperfektischen Konjunktive den der Gegenwart eingeführt, und zwar nun auch nach dem Imperfekt. Nur soll damit eben nicht die Unwirklichkeit dieser Vergleiche, sondern im Gegenteil ihre Möglichkeit lebhaft vor Augen gestellt und ein nur gedachter Vorgang in möglicher Tatsächlichkeit ausgemalt werden. Drüben war es, als hebe, was dorten ging, den Hals und recke gegen das Festland hin den Kopf ... Nun hob es den Kopf, als ob es stutze, schreibt z. B. Storm. Und im Zusammenhang mit der Entwicklung des Konjunktivs der Gegenwart betrachtet, wird man zugeben müssen, daß diese neuere Fügung mit dessen Herausbildung zum alleinigen Träger der subjektiven Auffassung und der des präteritalen Konjunktivs zum Zeichen der Irrealität aufs engste zusammenhängt. Obendrein hat die heutige Art — die neue Mode, sagt in Verkennung der großen Zusammenhänge Wustmann — schon längst ihren natürlichen Ausgangspunkt in den oben § 293 besprochenen Sätzen mit als ob, als wenn, die gar keine Vergleichs-, sondern Substantiv- oder Attributivsätze sind und ganz sachgemäß auch nach einem Imperfekt bloß den Konjunktiv der Gegenwartreihe fordern als Zeichen der subjektiven Färbung des Gedankens. Wie also schon Goethe schreiben konnte: Eine bedeutende, das Volk aufregende Weissagung, als werde an einem gewissen Tage ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten, traf nicht ein, so auch Freytag: Mir war zuweilen, als sei ich von unserm lieben Gotte geschieden. A. Stifter begnügt sich sogar einmal mit einem deutlichen solchen Konjunktiv nur im ersten Satze: Mir war, als sei ein Zittern in mir und als fließen wir.


Zweifelsfall

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Beispiel
Bezugsinstanz Stifter - Adalbert, Sprachverlauf, Meyer - Conrad Ferdinand, Hoffmann - Ernst Theodor Amadeus, alt, Freytag - Gustav, Keller - Gottfried, Goethe - Johann Wolfgang, Grimm - Jacob, Grimm - Wilhelm, gegenwärtig, Schriftsprache, neu, Literatursprache, 19. Jahrhundert, Musäus - Johann Karl August, Storm - Theodor
Bewertung

Frequenz/ehedem allgemein herrschenden, Frequenz/ohne Zahl zu lesen, in vollstem Gegensatz zu dem ehedem allgemein herrschenden, ziemlich uneingeschränkte Herrschaft

Intertextueller Bezug Wustmann