Umspringen der Nebensatzstellung nach und
Buch | Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs. |
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Seitenzahlen | 387 - 389 |
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Unsicherheit |
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In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle
Behandelter Zweifelfall: | |
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Genannte Bezugsinstanzen: | Kirchensprache, Huch - Rudolf, Schiller - Friedrich, Hebel - Johann Peter, Mittelhochdeutsch |
Text |
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Den Wohlklang zu erhöhen und die Wiederkehr des eintönigen Rhythmus zu verhindern, dient auch die — freilich nur vorsichtig zu benützende Freiheit, daß in dem von einem Bindeworte aus mehrgliedrig fortgesponnenen Nebensatze nach und oder oder die Stellung des Hauptsatzes eintritt. Ein Theologe schreibt: Wer einen solchen Schritt unternimmt und den, Gott sei Dank! immer noch festgefügten Bau der Kirche zertrümmern will und hat sich nicht besser alles vorher überlegt, der kann sich nur lächerlich machen; und Rud. Huch: Wie er hinausgeht, um den Trunk zu holen, und ich sitze allein an Abdeckers Tisch, so halte ich eine Ansprache. Daß sich die Sache auch nicht ändert, wenn im ersten Satze die Stellung des Fragesatzes eintritt, zeigt der Satz Schillers: Da war mir, als sehe ich aufflammen den ganzen Horizont ... und eine heulende Windsbraut fegte von hinnen Meer, Himmel und Erde. Die Freiheit kann nicht besser empfohlen werden als dadurch, daß sie auch Hebel mitmacht: Wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden und (es) kann nicht anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und ebenso der mhd. Dichter: Alsô dô der eine man den fünven sige an gewan unde er wolde rîten, er sprach. § 380. Die Berührung mit der lebendigen Rede, wie sie schon der Sturm und Drang sowie die Romantik suchten und am bewußtesten schon über ein halbes Jahrhundert die Germanisten mit der Erforschung der Mundarten pflegen, hat der Sprache der Gegenwart überhaupt die Möglichkeit zurückgewonnen, im Nebensatze das ganze Prädikat, im Hauptsatze seinen zweiten Teil nach vorn zu rücken. Namentlich werden jetzt zum Gefüge des Satzes nicht unbedingt nötige adverbielle Ergänzungen nachgestellt, die sich an ein vorübergehendes Haupt- oder Zeitwort nur ziemlich $Seite 388$ lose anschließen. Aus Erzählungen, wo diese Stellung am häufigsten ist, sei angeführt aus Scheffel der Hauptsatz: Er trat zurück an ein Bogenfenster im Kreuzgang, und der Nebensatz: ... der erst jüngst des Abts hinkendem Fuße die große Heilkur verordnet hatte mit Einreibung von Fischgehirn und Umschlag einer frisch abgezogenen Wolfshaut; desgleichen aus Raabe der Hauptsatz: Die Monika mag euch ein Kissen holen für den alten Rücken, und der Nebensatz: Er gedachte, wie doch alles so ganz anders geworden sei in der Welt. Von Germanisten mögen Otto Schröder und Wilhelm Scherer zu Worte kommen. Jener schrieb z. B.: ihn auszurüsten zu neuem Flug über Raum ... Zeit oder: wozu sich erwärmen für eine veraltete Schreibung wie ,kint‘? dieser: Eine göttliche Frau weiht ihn ein in göttliche Weisheit, und: ... der seine Kräfte verzehrt in allzu hochgespanntem Streben, der jung dahinstirbt mitten in einer glänzenden Laufbahn. Selbst daß durch Vorrückung des Zeitwortes das Regierende und das Regierte getrennt wird wie in dem weiteren Satze Schröders: ... deren Hauptreiz in einem gewissen Widerspruche liegt zwischen Darstellung und Benennung, wird unangefochten bleiben dürfen, wenn dadurch wie hier der Satzrhythmus gewinnt. Das läßt sich gewiß nicht behaupten von den Sätzen G. Hauptmanns: Damit suchte er zu entschuldigen, daß er im Begriff ihn zu verleugnen stand; Ich kenne die Hoffnung, von der sie zehren, auf endliche Überwindung der Lebensnot. Auch wenn Scherer geschrieben hat: Ich will den germanischen Zuwachs unsers heutigen ästhetischen und historischen Sprachbewußtseins gewiß nicht schelten; aber er muß nicht an die Stelle treten wollen dessen, was mehr wert ist, oder Fürst Bülow: Wer kaltblütig seinen Interessen folgt, wird im entscheidenden Augenblick stolz der Meister sein dessen, der an seiner Seite einer Idee nachjagt, so empfinde ich da einen ziemlichen Ruck wie durch gewalttätiges Zerreißen des Zusammengehörigen. Dasselbe gilt von dem Satze Goethes an Karl August: Viertens liegt eine Abschrift bei eines merkwürdigen Aktenstückes aus dem 30jährigen Kriege, wie sich die Stadt Frankfurt und ihre Consulenten zur Wehr setzten, wie dem der DAZ. 28: Man kann nur ein ungefähres Bild geben des Standes der Dinge, die wie bei jedem Nationalitätenkampf fließend sind. Ohne solche Folge ist der Anschluß an das Folgende, wie er hier beabsichtigt ist, der natürlichste Grund für das Hinausrücken der adverbialen Ergänzung aus dem geschlossenen Satzringe, und zwar ist es dann gleichgültig, ob das folgende Glied formell durch ein bei- oder unterordnendes Formwort oder durch Wiederholung eines Hauptwortes, überhaupt lediglich sachlich angeschlossen wird. So hat Luther schon geschrieben: Auf diese Weise erwähleten vorzeiten die Christen aus dem Haufen ihr Bischöf und Priester, die darnach von andern Bischöfen wurden bestätiget ohne alles Bangen, das itzt regieret, und wieder G. Keller: In der Stadt, wo der Anwalt ein paar Worte fallen ließ von dem großen Vermögen, das vielleicht nach Seldwyla kam durch diese Geschichte, entstand ein großer Lärm. In T. E. A. Hoffmanns „Elixieren des Teufels" habe ich neben 44 Stellen derart: So griffen sie mich an mit dummem Staunen, und im Nebensatz: bis du verdirbst in Wahnsinn und Verzweiflung, weitere 6 vermerkt, wo im Haupt- oder Nebensatz die Aufsparung dem engeren Anschlusse an den abhängigen Satz dient: wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener $Seite 389$ seligen Zeit, die nur zu schnell verschwunden, und Die Fürstin soll selbst das Hochzeitslager bereiten dem Mönch, den sie verachtet. Den Anschluß an das folgende ohne Unterordnung zeigt ebenso ein Beispiel W. Raabes: Er streckte ihm die Hand entgegen mit den Worten (folgt Rede), wie die einer theologischen Realenzyklopädie: Ebenso wenig können geltend gemacht werden die Cherubgestalten Ezechiels; Ezechiel mag die Bestandteile seiner phantastischen Gestalten entlehnt haben von den heiligen Tiersymbolen der Babylonier, wenn auch hier das Nebeneinander zweier solcher Stellungen in einem Satze wie Modeneuheit oder Standesneigung zum Ton der Lutherischen Bibelübersetzung anmutet. Überhaupt ergeht sich schwungvolle Begeisterung gehobener Rede oder Leidenschaft gern in solchen Abweichungen; selbst Ergänzungen im bloßen Falle treten dann gelegentlich nach wie in dem Satze Hauffs: Treue ist das Wort, das Genesung gibt dem gebrochenen Herzen. Auch Spannung kann nicht besser wachgerufen werden als von Gregorovius mit Aufsparung des wichtigen Satzteiles im Nebensatze des folgenden Gefüges: Es war in den letzten Tagen des August 1268, als über diesen Strand sprengten, fliehend und angstvoll, der junge Konradin, Friedrich Prinz von Österreich und der Graf G. Lancia. Dieselbe Wirkung erzielt H. Mann: um es her eine Zone breitend des Gestampfes, Geschreis, Totschlags und der bildungsfeindlichen Roheit. |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Kirchensprache, Huch - Rudolf, Schiller - Friedrich, Hebel - Johann Peter, mittelhochdeutsch |
Bewertung |
Wohlklang erhöhen, Wiederkehr des eintönigen Rhythmus verhindern, Freiheit, nicht besser empfohlen werden |
Intertextueller Bezug |
Zweifelsfall | |
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Beispiel | |
Bezugsinstanz | Mundart, Sprachverlauf, gegenwärtig, Scherer - Wilhelm, Schröder - Otto, Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, alt, alt, Zeitungssprache, Bülow - Bernhard von, Goethe - Johann Wolfgang, Gregorovius - Ferdinand, Mann - Heinrich, Hauff - Wilhelm, Hauptmann - Gerhart, Kirchensprache, Hoffmann - Ernst Theodor Amadeus, Keller - Gottfried, Luther - Martin, Raabe - Wilhelm, Scheffel - Joseph Victor von, Scherer - Wilhelm |
Bewertung |
am häufigsten, unangefochte, Satzrhythmus gewinnt, ziemlichen Ruck wie durch gewalttätiges Zerreißen des Zusammengehörigen, gleichgültig, Modeneuheit, Standesneigung, schwungvolle Begeisterung, Spannung |
Intertextueller Bezug |