Voll und voller

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 179 - 179
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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

voll und sein Gebrauch

Genannte Bezugsinstanzen: Redewendung/Sprichwort, Gegenwärtig, Luther - Martin, Flex - Walter
Text

Voll und voller//1 Vgl. K. Ondrusch Zeitschrift für d. deutschen Unterricht 1890, S. 30 ff. Die Form voller ist die deklinierte Maskulinform, die hier auch an den Stellen bewahrt ist, wo heute sonst die undeklinierte üblich ist, in der Nachstellung und in der Satzaussage: ein rotes Röslein, aber Röslein rot und das Röslein ist rot, dagegen wie ein voller Eimer auch ein Eimer voller (Wasser) und der Eimer ist voller (Wasser). Daß aber gerade diese Form erhalten worden ist, beruht zweifelsohne auf einem Irrtum des Sprachgefühls: Luther verband nur weibliche Wörter in der Einzahl und Mehrzahl damit, und noch heute steht die Form nie vor einem Worte mit Artikel oder einem gleich diesem hinweisenden Fürworte. Das irregeleitete Sprachgefühl empfand also voller als Verschmelzung von voll und der danach häufigsten Artikelform der.// Das Wort voll steht prädikativ und attributiv und zwar, sobald Ergänzungen hinzutreten, als Attribut immer nach dem Substantiv, entweder in dieser ungebeugten Form oder, gleichviel auf welche Zahl und welches Geschlecht bezogen, auch in der Form voller. Nur ist diese zweite Form in der Hauptsache auf den Fall beschränkt, daß artikel- und attributlose Hauptwörter davon abhängen und zwar in der Mehrzahl im wirklichen, freilich auch nur bei substantivierten Adjektiven kenntlichen Genetive, in der Einzahl meist in ungebeugter Form, indem die Gleichheit des Genetivs und Nominativs beim Femininum der Einzahl und bei allen Mehrzahlen gewöhnlich auch für die Einzahl des männlichen und sächlichen Geschlechtes auf die Bezeichnung des Genetivs zu verzichten verleitete: also voll und voller Mut, voll und voller Achtung, voll und voller Glanz; ein Kasten voll(er) Blumen und deutlicher: ein ganzes Schlachtfeld voll und voller Toter, eine Stadt voll Weltleute und Weltweiser. Wenn die Form voller — freilich seltener — auch vor einem mit Attribut versehenen Hauptworte erscheint, steht das Attribut so gut in der starken als in der schwachen Form: voll(er) schändlicher, unflätiger Gebärden und unzüchtiger Bewegungen und voller starken glücklichen Stellen. Auch bei voll ist ein artikel- und attributloses Hauptwort im wirklichen Genetiv der Einzahl, der bei voller nie steht, höchst selten, und wenn voll Lobes über eine Sache sein formelhaft erhalten ist, so ist z. B. selten, wenn auch nicht falsch voll Schnees, voll Wassers und allein möglich voller Lob sein. — Vor Hauptwörtern mit Geschlechtswort steht nur voll, und dieselbe Form gewöhnlich auch vor Hauptwörtern, die durch vorangestellte Eigenschaftswörter bestimmt sind, wobei die schwache oder starke Adjektivform ganz nach den dafür allgemein gültigen Gesichtspunkten gewählt wird (vgl. § 77 ff); auch kann wohl voll, nie voller den davon abhängigen Wörtern nachfolgen, also nur: voll des innigsten Mitleids, voll der schönsten Zähne; gewöhnlich: voll raschen Verständnisses (§ 79); heiliger Ruchlosigkeit voll; voll sonntäglich geputzter Menschen; die Augen standen randvoll fröhlichen Lachens (W. Flex).


Zweifelsfall

voll und sein Gebrauch

Beispiel
Bezugsinstanz Redewendung/Sprichwort, gegenwärtig, Luther - Martin, Flex - Walter
Bewertung

allein möglich, beruht auf einem Irrtum des Sprachgefühls, Frequenz/gewöhnlich, Frequenz/höchst selten, Frequenz/nie, Frequenz/selten, Frequenz/seltener, Frequenz/steht nur, Frequenz/üblich, nicht falsch

Intertextueller Bezug K. Ondrusch: Zeitschrift für d. deutschen Unterricht 1890, S. 30 ff.