Würde falsch im Bedingungsnebensatze

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 372 - 373
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Unsicherheit
Text

Die Ausdrucksweise ist ihrer Herkunft nach hauptsächlich oberdeutsch//1 Ein am Oberrhein beheimateter Wächter über die Reinheit der Schriftsprache klagte in der Zeitschr. f. d. deutsch. Unterr. sogar schon 1890, daß dort der Konditional der Modus der indirekten Rede ist und gesagt wird: Er sagt, er würde vortrefflich tanzen statt er tanze vortrefflich; Unzutreffend sei die Behauptung, die Bauern würden im Gelde schwimmen. Ein Münchner Direktor schreibt gar mit solchem würde im Hauptsatz: Der Schüler N. N. möchte in die Sexta des dortigen Realgymnasiums eintreten. Ich würde (statt: bitte) deshalb um Übersendung eines JB. bitten!//, aber schon hat sie von dorther, wo sie in der Umgangssprache und Tagesliteratur durchaus vorherrscht, in unser ganzes Schrifttum Einzug gehalten, zumal in der Erscheinungsform, in der sie am häufigsten ist. Das ist der Nebensatz der Bedingungsperiode der Nichtwirklichkeit, während er doch nur in dem durch jenen bedingten Nach- und Hauptsatze seinen Platz hat anstatt des auch dort ausreichenden Konjunktivs des Imperfekts oder Plusquamperfekts. Während also möglich ist: Wenn die Königin Luise beim Beginne der Erhebung noch gelebt hätte, wäre sie nicht imstande gewesen, begeisternder auf die ausziehenden Krieger zu wirken, als sie es so tat, kann man der Deutlichkeit halber auch lieber mit Luther schreiben: Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meere, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich leiten. Nicht nachahmenswert sind dagegen alle Formen mit bloß umschreibendem würde//2 Für den Nebensatz ist also falsch im Aktiv: wenn ich geben würde oder würde ich geben statt wenn ich gäbe oder gäbe ich: wenn ich gegeben haben würde oder würde ich gegeben haben statt wenn ich gegeben hätte oder hätte ich gegeben; im Passiv; wenn gegeben werden würde oder würde gegeben werden statt wenn gegeben würde oder würde gegeben und wenn würde gegeben worden sein oder würde gegeben worden sein statt wenn gegeben worden wäre oder wäre gegeben worden.// im Nebensatze, ob dieser nun nachfolgt oder vorangeht. Selbst Luther schrieb freilich auch: Würde sich die Welt nicht an uns stoßen, so würde ich mich stoßen an der Welt; ähnlich schreiben die Schweizer G. Keller und C. F. Meyer: Wenn du Gott fürchten würdest, brauchtest du nicht zu fliehen. Wäre es nicht Hochverrat, wenn ich neben dir Geringere beschenken würde? und gar auch W. Raabe: Sie würden mich für einen Narren nehmen, wenn ich aus der Kriminalgeschichte vorlesen würde; Es hätte mir jedermann einen Bleistift geliehen, wenn ich den Wunsch ausgesprochen haben würde (Stopfkuchen); und: ein Spiegelembryo, welcher noch dem schönsten Mädchenangesicht die verschrobenste Fratze zugeschnitten hätte, wenn eins hineingelächelt haben würde (L. aus d. W. IV). Kein Wunder denn, daß auch ein Münchner Bergsteiger geschrieben hat: $Seite 373$ Wenn der Schnee nicht gar zu weich sein würde (statt: wäre), hoffte ich auch zum Ziele zu gelangen, oder ein angesehener Altdeutscher aus dem Elsaß (v. Dürckheim): Ich drückte mich aus dem Salon, in den ich mir gelobte nie mehr einzutreten, wenn ich nicht dazu genötigt sein würde (statt: wäre). Neuerdings gesellt sich auch G. Hauptmann mit solchen Sätzen hinzu: Würde das Buch nicht in ihm gewohnt haben, so würde der Tod an seine Stelle getreten sein, und: Würde jetzt ein Mensch in seinen Gesichtskreis treten, er müsse ihn hassen wie ein Gespenst, sowie Lilienfein: Der Wehruf dürfte hundertfach in unserer gottlosen Zeit gelten, wenn nicht Männer wie Ew. Durchlaucht beweisen würden, daß das Hohe noch immer lebt.

In diesen und manchen ähnlichen Fällen mag der Begriff der Zukunft, in den das Ganze durch das regierende Verb gerückt wird und der im Konjunktiv nicht angedeutet werden kann, den einigermaßen futurischen Konditional nahegelegt haben, freilich ohne daß es notig wäre. In andern Fällen fehlt auch jede solche scheinbare Entschuldigung. Da sprach ein Reichstagsabgeordneter: Es wäre (auch möglich: würdesein) bedenklich, wenn noch andre Staaten zur Goldwährung übergehen würden (statt: übergingen), und ähnlich die — preußischen Minister in den Reden über das Volksschulgesetz. Auch ein bekannter Alpenschilderer schreibt: Würde man sich die Mühe nehmen und zu Fuß herumgehn (statt: nähme man sich die Mühe und ginge oder wollte//1 Damit sei darauf hingewiesen, daß die Hilfszeitwörter wollen (ebenso sollen) immerhin zur Verfügung stehn, wenn die bloße Konjunktivform einmal ungewöhnlich oder nicht kräftig genug scheint. Immerzu also gesagt: Wenn es sich noch ändern sollte statt änderte, würdest du davon benachrichtigt. — Wollten sich die Landleute nur klarmachen neben machten sich die Landleute nur klar, was es bedeute, den Viehstand zurück oder gar eingehn zu lassen, so würden sie anders handeln.// man sich die Mühe nehmen und gehn), so träfe man viele grünende Felder. In der Berliner Tgl. R. stand sogar in einem Romane (E. Bauer): Wenn eine solche Flasche auf hoher See aufgefischt werden würde (statt: aufgefischt würde), so könnte ich das begreifen, und: Fürst Alexander würde mir besser gefallen, wenn er weniger ehrlich aussehen würde (statt: aussähe). Natürlich benehmen andere Wörter an der Spitze des Bedingungssatzes solchen Fügungen das Fehlerhafte keineswegs, sondern gleich tadelhaft steht in einem Ortsblättchen: Th. erteilte die üblichen Warnungen für den Fall, daß (= falls) Truppen gegen ihn gesendet werden würden (statt: gesendet würden).


Zweifelsfall

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Beispiel
Bezugsinstanz Elsass, Dürckheim - Ferdinand Graf Eckbrecht von, Literatursprache, Berlin, Zeitungssprache, Meyer - Conrad Ferdinand, Bauer - Erwin Heinrich, Hauptmann - Gerhart, Keller - Gottfried, Schriftsprache, gesprochene Sprache, oberdeutsch, Lilienfein - Heinrich, Luther - Martin, München, Sportsprache, München, Schulsprache, neu, Zeitungssprache, Preußen, Sprache der Politik, Sprache der Politik, Literatursprache, Schweiz, Zeitungssprache, Umgangssprache, Raabe - Wilhelm
Bewertung

auch möglich, ausreichenden, benehmen das Fehlerhafte keineswegs, falsch, falsch, fehlt auch jede solche scheinbare Entschuldigung, Frequenz/am häufigsten, Frequenz/vorherrscht, gleich tadelhaft, kann man der Deutlichkeit halber auch schreiben, möglich, Nicht nachahmenswert, oder, ohne daß es nötig wäre, seinen Platz hat anstatt, statt

Intertextueller Bezug am Oberrhein beheimateter Wächter über die Reinheit der Schriftsprache: Zeitschr. F. d. deutsch. Unterr. 1890