Franz' oder Franzens? Goethe's oder Goethes?

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 7 - 12
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Unsicherheit
Text

Großes Vergnügen macht es vielen Leuten, den Genitiv von Personennamen mit einem Apostroph zu versehen: Friedrich's, Müller's. Selbst große Gelehrte sind in den Apostroph so verliebt, daß es ihnen ganz undenkbar erscheint, Goethes ohne das hübsche Häkchen oben zu schreiben. Nun ist ja der Apostroph überhaupt eine große Kinderei. Alle unsre Schriftzeichen bedeuten doch Laute, die gesprochen werden. Auch die Interpunktionszeichen gehören dazu. Nicht bloß das Ausrufe- und das Fragezeichen, sondern auch $Seite 8$ Komma, Kolon, Semikolon und Punkt, Klammern und Gedankenstriche lassen sich beim Vorlesen sehr wohl vernehmlich machen. Nur der Apostroph bedeutet gar nichts; ja er soll geradezu einen Laut bedeuten, der — nicht da ist, der eigentlich da sein sollte, aber ausgefallen ist. Ist nicht das schon kindisch? Nun ist ja aber bei diesen Genitiven gar nichts ausgefallen. Wenn man schreibt: des Müllers Esel, warum soll man nicht auch Otfried Müllers Etrusker schreiben?//* Der Apostroph sollte nur da angewandt werden, wo er eine Verwechslung verhüten kann, z. B. zwischen dem Präsens rauscht und dem Imperfektum rauscht' (Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll), oder zwischen der Einzahl Berg und der Mehrzahl Berg' (über Berg' und Täler). Hier bedeutet er wirklich etwas, und hier kann man ihn bei gutem Vorlesen sogar — hören!//

Nun aber vollends bei Personennamen auf s, ß, z und r — welche Anstrengungen werden da gemacht, einen Genitiv zu bilden! Die Anzahl solcher Namen ist ja ziemlich groß; man denke an Fuchs, Voß, Krebs, Carstens, Görres, Strauß, Brockhaus, Hinrichs, Brahms, Begas, Dickens, Curtius, Mylius, Cornelius, Berzelius, Rodbertus, Marx, Felix, Max, Franz, Fritz, Moritz, Götz, Uz, Schütz, Schwarz, Leibniz, Opitz, Rochlitz, Lorenz, Pohlenz, nicht zu reden von den griechischen, römischen, spanischen Namen, wie Sophokles, Tacitus, Olivarez usw.; die Veranlassung ist also auf Schritt und Tritt gegeben. Bei den griechischen und römischen Namen pflegt man sich damit zu helfen, daß man den Artikel vorsetzt: die Tragödien des Sophokles, die Germania des Tacitus. Man ist an diese Genitive von seiner Schulzeit her so gewöhnt, daß man gar nichts anstößiges mehr darin findet, obwohl man es sofort als anstößig empfinden würde, wenn jemand schriebe: die Gedichte des Goethe. Der Artikel vor dem Personennamen ist süddeutscher oder österreichischer Provinzialismus (in Stuttgart sagt man: der Uhland, in Wien: der Raimund), aber in die Schriftsprache gehört das nicht; in kunstgeschichtlichen Büchern und Aufsätzen immer von Zeichnungen des Carstens und Entwürfen $Seite 9$ des Cornelius lesen zu müssen, oder gar, wie in der beschreibenden Darstellung der Bau- und Kunstdenkmäler Leipzigs, von einem Bildnis des Gottsched, einem Bildnis des Gellert, ist doch gar zu häßlich. Ein wahrer Unglücksmensch ist der Nürnberger Maler und Kupferstecher Georg Penz. Der bekommt nicht bloß den Artikel, sondern schleppt auch noch das cz des sechzehnten Jahrhunderts für z mit sich herum: der Pencz, des Pencz, dem Pencz, den Pencz! Manche setzen denn nun auch an solche Namen fröhlich das Genitiv-s (natürlich mit dem unvermeidlichen Apostroph davor!), also: Fues's Verlag, Rus's Kaffeehandlung, Harras's Grabstein in der Thomaskirche, Kurfürst Moritz's Verdienste um Leipzig, Leibniz's ägyptischer Plan, Gabriel Max's Illustrationen zu Uhlands (oder vielmehr Uhland's) Gedichten. Noch andre — und das ist das beliebteste und das, was in Grammatiken gelehrt, in den Druckereien befolgt und jetzt auch für die Schulen vorgeschrieben wird — meinen, einen Genitiv zu bilden, indem sie einen bloßen Apostroph hinter den Namen setzen, z. B. Celtes' Ausgabe der Roswitha, Junius' Briefe, Uz' Gedichte, Voß' Luise, Heinrich Schütz' sämtliche Werke, Rochlitz' Briefwechsel mit Goethe, oder gar mit Nachsetzung des Namens: die Regierung Thiers', das Grabdenkmal Brahms', zum Todestage Roderich Benedix', seit den Tagen Therese Krones', eine Wiedervereinigung Byzanz' mit dem Papsttume. Ganz toll ist: der Stil Rabelais', der Dualismus Descartes' (denn hier ist ja das s und das es stumm, und der Genitiv von Descartes wird ja wirklich gesprochen: karts!), noch toller das Neueste: in den Tagebuchblättern Busch' ! Selbst die auf sch endigenden Namen fängt man an mit hereinzuziehen! Nach dem serbischen Königsmord bildeten alle Zeitungen den Genitiv von Namen, die auf itsch endigten, itsch' : Karageorgewitsch' ! (Vgl. S. 34).

Sollten wir uns nicht vor den Ausländern schämen ob dieser kläglichen Hilflosigkeit? Ist es nicht kindisch, sich einzubilden und dem Ausländer, der Deutsch lernen möchte, einzureden, daß im Deutschen auch ein Kasus $Seite 10$ gebildet werden könne, indem man ein Häkchen hinter das zu deklinierende Wort setzt, ein Häkchen, das doch nur auf dem Papiere steht, nur fürs Auge da ist? Wie klingt denn der Apostroph hinter dem Worte? Kann man ihn hören? Spreche ihn doch einer! Soll man vielleicht den Mund eine Weile aufsperren, um ihn anzudeuten? oder sich einmal räuspern? Irgend etwas muß doch geschehen, um den Apostroph fürs Ohr vernehmlich zu machen, sonst ist ja zwischen Leibniz und Leibniz', zwischen dem Nominativ und dem angeblichen Genitiv, gar kein Unterschied. Nachdenklichen Setzern und Buchbindern will denn auch die Sache gewöhnlich gar nicht in den Kopf. Daher kommt es, daß man in den Korrekturabzügen und auf Bücherrücken so oft Titel wie Sophokle's Tragödien, Carsten's Werke, Dicken's Romane, Friedrich Perthe's Leben und Siever's Phonetik lesen muß.

Eine gewisse Schwierigkeit ist ja nun freilich da, und es fragt sich, wie man ihr am besten abhilft. Die ältere Sprache schrieb entweder unbedenklich Romanus Haus (ohne den Apostroph), oder sie half sich bei deutschen Namen damit, daß sie (wie bei andern Substantiven, z. B. Herz, und bei den Frauennamen) eine Mischform aus der schwachen und der starken Deklination auf ens bildete, also: Fuchsens, Straußens, Schützens, Hansens, Frankens, Fritzens, Götzens, Leibnizens (vgl. Luisens, Friederikens, Sophiens). Im Volksmunde sind diese Formen auch heute noch durchaus gäng und gäbe (ebenso wie die Dative und Akkusative Hansen, Fritzen, Sophien — hast du Fritzen nicht gesehen? gibs Fritzen! —, die jetzt freilich in der Sprachziererei der Vornehmen mehr und mehr durch die unflektierte Form verdrängt werden: hast du Fritz nicht gesehen? gibs Hans) und es ist nicht einzusehen, weshalb sie nicht auch heute noch papierfähig sein sollten.//* Diese schwache oder aus schwacher und starker gemischte Deklination der Eigennamen war früher noch viel weiter verbreitet. Nicht bloß Schwarz und Schütz wurden dekliniert Schwarzens, Schwarzen, Schützens, Schützen, weshalb man aus den casus obliqui nie entnehmen kann, ob sich der Mann Schwarz oder Schwarze nannte; auch von Christ, Weck, Frank, Fritsch bildete man Christens, Christen, Weckens, Wecken, Frankens, Franken, Fritschens, Fritschen (Leipzig, bei Thomas Fritschen). Leider findet man in antiquarischen Katalogen Christs Buch „Anzeige und Auslegung der Monogrammatum" meist unter dem falschen Namen Christen, Wecks Beschreibung von Dresden meist unter dem falschen Namen Wecken aufgeführt; auf den Titelblättern steht wirklich: von Christen, von Wecken. Die berühmte Gelehrtenfamilie der Mencke, aus der Bismarcks Mutter abstammte, war durch ihre casus obliqui so irre geworden, daß sie schließlich selber nicht mehr wußte, wie sie hieß; einige haben sich lateinisch Menckenius genannt statt Menckius. Aber auch bei solchen Genitiven auf ens richtet der Apostroph oft Unheil an. An Stieglitzens Hof am Markt in Leipzig steht neuerdings über dem Eingang in goldner Schrift: Stieglitzen's Hof — als ob der Erbauer Stieglitzen geheißen hätte! Und welche Überraschung, wenn einem der Buchbinder auf einen schönen Halbfranzband gedruckt hat: Hans Sachsen's Dichtungen! Oder Gottscheden, Wörterbuch!// Oder wollen wir vielleicht nun auch im Götz von Berlichingen Hansens Küraß in Hans' $Seite 11$ Küraß verwandeln? Franzensbad und Franzensfeste in Franz'bad und Franz'feste verschönern? Verständige Schriftsteller, die vom Papierdeutsch zur lebendigen Sprache zurückkehren, brauchen denn auch die flektierte Form allmählich wieder und schreiben wieder: Vossens Luise. Wenn sie nur auch die Schule wieder in Gnaden annehmen wollte!

Unmöglich erscheint dieser Ausweg natürlich bei Namen, die selbst Genitive sind, wie Carstens (eigentlich Carstens Sohn), Henrichs, Brahms. Brahmsens dritte Geigensonate — das klingt nicht schön. Auch Phidiassens Zeus und Sophoklessens Antigone nicht, obwohl auch solche Formen zu Goethes und Schillers Zeit unbedenklich gewagt worden sind; sprach man doch damals auch, da man den Familiennamen der Frau auf in bildete, von der Möbiussin. Das beste ist es wohl, solchen Formen aus dem Wege zu gehen, was sehr leicht möglich ist, ohne daß jemand eine Verlegenheit, einen Zwang merkt. Man kann durch Umgestaltung des Satzes den Namen leicht in einen andern Kasus bringen, statt des Genitivs sein setzen, des Dichters, des Künstlers dafür einsetzen usw. $Seite 12$ Aber nur nicht immer: die Zeichnungen des Carstens! Und noch weniger Voß' Luise oder gar das Grab Brahms' , denn das ist gar zu einfältig.

In dieselbe Verlegenheit wie bei den Eigennamen auf us gerät man übrigens auch bei gewissen fremden Appellativen. Man spricht zwar unbedenklich von Omnibussen, aber die Ismusse machen uns Not, und der Deutsche hat sehr viel Ismusse! Die Komödie erlognen Patriotismus', wie jetzt gedruckt wird, oder: im Lichte berechtigten Lokalpatriotismus' oder: ein unglaubliches Beispiel preußischen Partikularismus' — das sind nun einmal keine Genitive, trotz des schmeichelnden Häkchens. Da hilft es nichts, man muß zu der Präposition von greifen oder den unbestimmten Artikel zu Hilfe nehmen und sagen: eines erlognen Patriotismus, von preußischem Partikularismus.


Zweifelsfall

Eigennamen: Flexion

Beispiel
Bezugsinstanz Österreich, Süddeutsch, Schulsprache, Stuttgart, Wien, Schriftsprache, Sprache der Kunst, 16. Jahrhundert, Leipzig, Alt, Volk, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, Schiller - Friedrich, Gehobene Sprache, Gegenwärtig, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, Alt, Sprachverlauf
Bewertung

anstößig, gar zu häßlich, unbedenklich, klingt nicht schön, das beste

Intertextueller Bezug


Zweifelsfall

Apostroph: Genitive von Personennamen

Beispiel
Bezugsinstanz Gelehrte, Gesprochene Sprache, Fachsprache (Druckereiwesen), Schulsprache, Gegenwärtig, Neu, Zeitungssprache, Leipzig, Sprachverlauf
Bewertung

große Kinderei, kindisch, klägliche Hilflosigkeit, nicht schön, gar zu einfältig, ganz toll, noch toller, richtet oft Unheil an

Intertextueller Bezug