Vertauschung der Hilfszeitwörter

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 337 - 338
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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Modalverb: Auswahl

Genannte Bezugsinstanzen: Schriftsprache, Zeitungssprache, Schulsprache, Gegenwärtig
Text

Eine vollständige Verschiebung scheinen manche jetzt unter den Hilfszeitwörtern durchsetzen zu wollen (können, mögen, wollen, dürfen, sollen, müssen). Und warum? Aus bloßer Ziererei, nur um es einmal anders zu machen, als es bisher gemacht worden ist. Da schreibt einer: es mag für ältere Mitglieder von Interesse sein, die Mitgliederliste kennen zu lernen. Nun denkt man, er werde fortfahren: aber für die jüngern hat es kein Interesse, darum teile ich sie nicht mit. Nein, er teilt sie mit! Er hat also sagen wollen: die Liste kann oder wird vielleicht von Interesse sein, darum will ich sie mitteilen; mag drückt ja ein Zugeständnis aus. Eine Zeitschrift macht bekannt: Abonnenten wollen die Fortsetzung bei der Expedition bestellen — ein Realschuldirektor schreibt: neuphilologisch geschulte Bewerber wollen ihre Gesuche bis zum 1. Dezember einreichen. Das ist doch nichts als Nachäfferei des Französischen (veuillez); deutsch kann es nur heißen: mögen sie einreichen, oder wenn das nicht höflich genug scheint, werden gebeten, werden ersucht, sie einzureichen. Noch alberner ist es, ein solches wollen mit dem Passivum zu verbinden: die Redaktion wolle angewiesen werden (statt: es wird gebeten, die Redaktion anzuweisen) — das Testament wolle in Verwahrung genommen werden — das Öffnen der Fenster wolle den Schaffnern aufgetragen $Seite 338$ werden — es wolle sich gefälligst des Tabakrauchens enthalten werden. Sehr beliebt ist es jetzt, zu schreiben: ich darf endlich noch hinzufügen — hier darf zum Schluß noch angeführt werden usw. Darf? Wer erlaubt es denn? Der Schreibende erlaubt es sich doch selber, er nimmt es sich heraus. Er kann also nur sagen: hier darf wohl zum Schluß noch angeführt werden; mit dem wohl sucht man sich höflich der Zustimmung des Lesers zu versichern. Ganz abgeschmackt ist der Mißbrauch, der jetzt mit sollen getrieben wird. Da wird geschrieben: eines nähern Eingehens aus diese Punkte glaube ich mich enthalten zu sollen — wir glauben, diesen Satz auf das ganze Werk ausdehnen zu sollen — der Heilige Vater glaubt dich ermuntern zu sollen, in der begonnenen Arbeit fortzufahren — wir glaubten die Eröffnung nicht vornehmen zu sollen, ohne die maßgebenden Persönlichkeiten dazu einzuladen — im Interesse des Publikums hat die Behörde geglaubt, den Betrieb nicht in städtische Regie nehmen zu sollen. Sollen bezeichnet einen Befehl, einen Auftrag. In den angeführten Beispielen aber handelt sichs entweder um eine Möglichkeit oder eine Notwendigkeit. Weshalb also nicht können, müssen, dürfen? Es ist nichts als dumme Ziererei.


Zweifelsfall

Modalverb: Auswahl

Beispiel
Bezugsinstanz Schriftsprache, Zeitungssprache, Schulsprache, gegenwärtig
Bewertung

Noch alberner, sehr beliebt, abgeschmackt, dumme Ziererei

Intertextueller Bezug