Würde

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Buch Wustmann (1903): Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen
Seitenzahlen 156 - 158
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Unsicherheit

In diesem Kapitel behandelte Zweifelsfälle

Behandelter Zweifelfall:

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Genannte Bezugsinstanzen: Ungebildete, Hochdeutsch, Bodenstedt - Friedrich von, Österreich, Süddeutsch, Mundart, Volk, Zeitungssprache, Schaffy - Mirza, Rubinstein - Anton
Text

Wieviel zu der herrschenden Unsicherheit im Gebrauche der Modi die Unsitte beiträgt, die Hilfszeitwörter wegzulassen, ist schon oben gezeigt worden (vgl. S. 138). Nicht nur der Unterricht sollte darauf halten, sondern auch jeder Einzelne sich selbst so weit in Zucht nehmen, daß gerade da, wo ein Zweifel über den Modus entstehen kann, das bequeme Auskunftsmittel, das Hilfszeitwort zu unterdrücken, verschmäht würde, der Gedanke stets reinlich und bestimmt zu Ende gedacht würde. Für den Konjunktiv des Imperfekts aber und seinen richtigen Gebrauch ist insbesondre noch der Umstand verhängnisvoll geworden, daß man ihn in Hauptsätzen zu Bedingungssätzen durch den sogenannten Konditional (würde mit dem Infinitiv) umschreiben kann (ich würde bringen statt: ich brächte). Das hat nicht nur dazu geführt, daß sich viele Leute von gewissen Zeitwörtern kaum noch einen wirklichen Konjunktiv des Imperfekts zu bilden getrauen, daß sie sich überall da, wo sie zweifeln (vgl. S. 61), mit dem kläglichen würde behelfen, anstatt sich $Seite 157$ die Kenntnis der richtigen Verbalform zu verschaffen, sondern sie hat auch schon eine bedenkliche Verwirrung im Satzbau angerichtet. Von Süddeutschland und namentlich von Österreich aus hat sich aus dem fehlerhaften Hochdeutsch der Halbgebildeten immer mehr die Unsitte verbreitet, den Konditional auch in Bedingungs- und Relativsätzen, Vergleichungs- und Wunschsätzen anzuwenden.

Man schreibt: ich würde mich nicht wundern, wenn ich in einer Zeitung lesen würde (läse!) — von großer Bedeutung wäre es, wenn sich der Leserkreis des Blattes vermehren würde (vermehrte!) — wir könnten eine monumentale Sprache wiedergewinnen, wenn wir unser Denkmalschema verlassen würden (verließen!) — wie schematisch würde eine historische Darstellung ausfallen, wenn sie immer nur diese Maßstäbe anlegen würde (anlegte!) — weniger Sauberkeit und Regelmäßigkeit wäre dichterisch wertvoller, wenn sich eine starke Natur, eine glühende Leidenschaft, ein hoher Sinn offenbaren würden (offenbarten!) — der Christ, der sich einbilden würde (einbildete!), daß seine Religion die Menschen zu Engeln gemacht habe, wäre ein Utopist — der Stil seiner Abhandlung wird oft so hoch, als wenn er über Goethe schreiben würde (schriebe!) — hat die Kochstunde geschlagen, so muß das Feuer flackern, als ob es auf Kommando gehen würde (ginge!) — er fuhr mit den Händen auf und ab, als ob er buttern würde (butterte!) — wenn man diese Arbeit eines Spezialisten auf therapeutischem Gebiete durchstudiert, so bekommt man den Eindruck, als wenn man das Urteil eines Richters lesen würde (läse!), der in eigner Sache entscheidet — diese Romane tun, als würden sie die Laster nur der Sittlichkeit wegen schildern (schilderten!) — es wäre zu wünschen, er würde dieser Feier einmal beiwohnen (wohnte bei!) — wenn nur wenigstens künstlerische Form ihre Darstellung adeln würde (adelte!) — der Engländer ist zu fachlich und zu praktisch, als daß er selber beleidigend auftreten würde (aufträte!) — der Ernst des militärischen Lebens läßt es sich ab und zu gefallen, daß das $Seite 158$ Blümlein Humor an ihm emporwuchert, ohne daß sich dadurch das feste Gefüge der Disziplin lockern würde (lockerte!).

Ein wahres Wunder, daß wir den Kehrreim bei Mirza Schaffy und Rubinstein: ach, wenn es doch immer so bliebe! nicht längst verschönert haben zu: ach, wenn es doch immer so bleiben würde! Ein wahres Wunder, daß wir das alte Volkslied: wenn ich ein Vöglein wär und auch zwei Flüglein hätt! noch nicht umgestaltet haben zu: wenn ich ein Vöglein sein würde und auch zwei Flüglein haben würde! Denn so müßte es doch eigentlich in dem schönen österreichischen Zeitungshochdeutsch heißen! Im Volksdialekt heißt es freilich ganz richtig: Wann i a Vögerl war (= wär) und a zwoa Flügerln hätt.

Nicht zu verwerfen ist es, wenn in Bedingungs- und Wunschsätzen anstatt des Konjunktivs ein wollte, sollte oder möchte mit dem Infinitiv erscheint. Der Satz kann hierdurch bisweilen eine feine Färbung erhalten. Wenn ich mir das erlauben wollte — ist etwas andres als das einfache: wenn ich mir das erlaubte, wenn er sich so etwas unterstehen sollte — etwas andres als das einfache: wenn er sich das unterstünde — wenn sich doch die Regierung einmal ernstlich darum kümmern möchte — etwas andres als das einfache: wenn sie sich doch einmal darum kümmerte. Eine so sinnvolle Verwendung der Hilfszeitwörter ist natürlich mit dem inhaltlosen, nichtssagenden würde nicht auf eine Stufe zu stellen.


Zweifelsfall

Konjunktiv I, Konjunktiv II oder würde-Form

Beispiel
Bezugsinstanz Ungebildete, hochdeutsch, Bodenstedt - Friedrich von, Österreich, süddeutsch, Mundart, Volk, Zeitungssprache, Schaffy - Mirza, Rubinstein - Anton
Bewertung

bequeme, einfache, fehlerhaften, feine Färbung, Frequenz/kaum noch, ganz richtig, inhaltlosen, kläglichen, Nicht zu verwerfen, nichtssagenden, richtigen, schönen, sinnvolle, Unsitte, Unsitte

Intertextueller Bezug