Indikativ in Begehrungssätzen

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Buch Matthias (1929): Sprachleben und Sprachschäden. Ein Führer durch die Schwankungen und Schwierigkeiten des deutschen Sprachgebrauchs.
Seitenzahlen 380 - 382
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Unsicherheit
Text

Auch in Adverbialsätzen der Absicht (nach daß, seltner damit) und in Begehrungssätzen mit daß nach Verben des Forderns, Bittens, Verlangens, Verbietens, macht sich der Indikativ schon breit. Immerhin mag er selbst hier noch erträglich und verständig erscheinen, wenn die Erfüllung eines Begehrens — vom Standpunkte der Gegenwart aus — ganz bestimmt erwartet und sicher vorausgesehn wird. So liest man überall angeschlagen: Es ist verboten (untersagt), daß dieser Weg von fremdem Fuhrwerke befahren wird; und mancher hat schon die erregten und besonders scharfen Willensäußerungen vernommen und vielleicht selbst getan: Ich wünsche aber, daß du nicht länger bleibst; Ich gebiete dir aber, daß du pünktlich zurück bist! Auf dieser Bahn $Seite381$ geht auch Schiller mit dem Satze: Ich muß ihm einen schicken, daß er mir die Spanier und Mailänder nicht hineinläßt. In dem Satze Goethes: Drum hebt dich der Tyrann, damit er jemand hat, dem er befehlen kann, drückt der Indikativ dann vollends aus, daß die Absicht auch erreicht ist.

Ja, wenn man erwägt, ein wieviel breiteres Gebiet der Konjunktiv auf früheren Sprachstufen innehatte, so muß man geradezu zu dem Ergebnis kommen: die Entwicklung unserer Sprache neigt überhaupt dahin, den Indikativ überall da durchdringen zu lassen, wo der Konjunktiv für das Wesen und die Bedeutung des Satzes nicht das alleinige Kennzeichen ist. Immerhin aber sollte dieser hauptsächlich von Norddeutschland ausgehenden Bewegung wenigstens dann Halt geboten werden, wenn sie auch in Sätze eindringt, die nach ihrer Färbung die Frage, ob der Wunsch, die Absicht werde erreicht werden, gänzlich offen lassen oder gar die Unerfüllbarkeit aussprechen, also den Konjunktiv als Kennzeichen verlangen. Mustergültig also schreibt Jos. Ponten: Wir müssen glauben, daß es ist, wie wir wünschen, daß es sei. Dagegen hätte Langbehn nicht schreiben sollen: Es kommt nur darauf an, daß diese Aufgabe inner- wie außerhalb Deutschlands verstanden wird, wo er doch selbst gar nicht so fest von der Erfüllung seiner Forderungen überzeugt ist. Freilich ein Kritiker der Tgl. R. überbietet ihn noch: So hätte er doch besser auch einen Naturalisten in diesen Kreis — seiner schon herausgegebenen Novelle! — eingeführt, damit auch die gegnerische Meinung nicht unterdrückt wird (statt würde)! Ebenso darf die Begünstigung des norddeutschen Indikativs nicht dazu führen, daß der Unterschied zwischen nahe verwandten Fügungen verwischt wird; bedeutet doch: es ziemt sich, gehört sich, gebührt sich, ist in der Ordnung, daß diese Frage dem Reichstage unterbreitet wird, daß dies auch wirklich schon geschieht, womit also lediglich eine Tatsache als sich geziemend usw. beurteilt wird; nach: es ziemte sich, würde in der Ordnung sein u. ä. muß dagegen fortgefahren werden: daß ihm eine solche Frage unterbreitet werde, da dann die Erfüllung einer Forderung noch als fraglich hingestellt wird.

Selbst zum Schlimmsten mußte diese Unaufmerksamkeit auf den Konjunktiv der Absichtssätze führen: selbst die Mitteilung einer ehemals gehegten, der Vergangenheit angehörigen Absicht wird im Indikativ — der Gegenwart gemacht. Noch dazu wird diese Unart gerade von Dichtern genährt, indem sie in ungebührlicher Weise, was sie zur realistischen Färbung der Reden ihrer Personen wohl anwenden mögen, eine mehr oder minder mundartlich und volkstümlich gefärbte Redeweise, auch in ihre eigne Erzählung einschwärzen. Diese sollte aber doch immer hochdeutsch lauten und niemals so: Dahinein legte er drei Ringe, damit ihm die alte Sodzu-Baba im Schattenreich nicht die Gewänder wegnimmt (DAZ. 28); oder: Die Buben werden mit der Mission betraut, den Boden auszuräumen, indes Lisi unten acht geben mußte, daß nichts von den Kostbarkeiten gestohlen wird (Chiavacci). Wenn sich eine derartige Gegenwart massenhaft bei Auerbach findet, ob man nicht daran vielleicht erkennt, daß die Entwicklung nahe daran ist, eine feine deutsche Eigenart aufzugeben? — Auch der Indikativ des Imperfekts wird in diesen Sätzen oft falsch angewandt. Dann allein ist er nämlich richtig und zulässig, wenn der Darsteller aus der Erfahrung die Möglichkeit gewonnen hat und durch den Zusammenhang genötigt ist, die Absicht von ehedem als jetzt tatsächlich erreicht hinzustellen. $Seite 382$ So darf ich von einer Handlung, für deren tatsächlichen Eintritt mein Wunsch maßgebend gewesen ist, wenn es darauf ankommt, dies letztere zu betonen, recht wohl sagen und sage heute sogar deutlicher: Ich habe selbst gewünscht, daß es geschah; ich verlangte selber, daß er mitging, daß sie mir meine Geschenke zurückgab; denn bei der Form: daß sie mir... zurückgäbe würde nicht, wie bei jener, zugleich auch über den Erfolg meines Verlangens etwas ausgesagt sein. Trotzdem ist und bleibt es falsch, wenn man in der geschichtlichen Erzählung, natürlich auch im Roman, wo es auf Wiedergabe der bewegenden Gesichtspunkte, bestimmenden Zwecke u. ä. ankommt, demselben Indikative begegnet. Selbst G. Keller schreibt einmal: Sein verwitweter Vater wünschte, daß der einzige Sohn bei ihm lebte und die Verwaltung der Güter übernahm — und da weilt dieser Sohn noch in — Berlin; und Galsworthys Übersetzer L. Schalit: Er hoffte nur, daß sie kein Veronal bei sich hatte. Am öftesten begegnet die Unart in Vorlagen fürs Übersetzen in fremde Sprache; damit soll, o Jammer! — dem Übersetzer eine Falle gelegt werden, in Wirklichkeit aber wird darin das deutsche Sprachgefühl so vieler weggefangen, die einst gutes Deutsch zu schreiben berufen wären; und das nur, damit auf Kosten richtiger Vorstellungen von der Art der Muttersprache, die — einer fremden eingedrillt werde.


Zweifelsfall

Konjunktiv oder Indikativ

Beispiel
Bezugsinstanz Chiavacci - Vinzenz, Literatursprache, Goethe - Johann Wolfgang, Keller - Gottfried, Langbehn - Julius, norddeutsch, Ponten - Josef, Schiller - Friedrich, Schalit - Leon, Galsworthy - John, Auerbach - Berthold
Bewertung

Gebrauch des Indikativs als von Norddeutschland ausgehende Bewegung, mundartlich und volkstümlich gefärbte Redeweise, Unart

Intertextueller Bezug